Reisen

Jakobsweg (2022)

Etappe 10: Pontevedra – Caldas de Reis

Als wir früh im Dunkeln aufbrachen entfaltete sich vor uns eine ganz besondere Magie. Der Jakobsweg war hier nicht nur mit Pfeilen und Muscheln markiert, sondern auf dem Boden befanden sich unzählige blaue LEDs, die uns die Richtung zeigten. Allein dafür hatte es sich gelohnt gestern nur bis Pontevedra zu gehen. Einige Kilometer hinter Pontevedra ging dann schließlich die Sonne auf und wir marschierten dem Tag entgegen. Um uns herum erwachten die kleinen Ortschaften langsam zum Leben und wir konnten die eine oder andere skurrile Situation mit ansehen. So war es hier üblich, dass die Bäckereien morgens früh die Brötchen auslieferten. Vor einem der Häuser lag also ein Karton der prall gefüllt mit frischen Brötchen war. Eine Katze entdeckte den Karton und freute sich über das Frühstück. Als sich die Haustür öffnete und die heraustretende Dame die Brötchendiebin sah, nahm sie es aber mit Humor. Sie verscheuchte die Katze und winkte uns lachend zu.

Je mehr wir uns Santiago näherten desto häufiger sah man auch andere Pilgernde. So trafen wir ein Deutsches Paar, das zeitgleich mit uns von Porto aus gestartet ist. Allerdings haben sie, der Jahreszeit zum Trotz, dennoch die Küstenroute genommen, weswegen wir uns nicht schon vorher getroffen hatten. Nach einem kurzen Smalltalk erwähnte Kevin nebenbei, dass eines seiner größten Probleme unterwegs die Schulterschmerzen vom Rucksack seien. Mit einem Blick auf unsere Rucksäcke merkte das Paar an, dass das daran läge, dass die Rucksäcke nicht richtig eingestellt waren. Mit ein paar Handgriffen hier und ein bisschen Ziehen an Riemen da waren die Rucksäcke auf einmal richtig eingestellt und fühlten sich gleich viel leichter auf dem Rücken an. Das muss man sich einmal vorstellen: Nach bereits 200km unter erschwerten Bedingungen trugen wir unsere Rucksäcke nun richtig! Von nun an lief es sich bis Caldas de Reis, unserem heutigen Etappenziel, wie von selbst.

In der Stadt angekommen suchten wir zuerst ein Café, um uns ein wenig auszuruhen, Stempel zu besorgen und den restlichen Tag zu planen. Außerdem wollten wir auch direkt eine Kleinigkeit essen. Wir fanden ein älteres Café in einer Art Hinterhof und machten es uns auf den Metallstühlen gemütlich. Zu Essen hatten sie hier mal wieder nur Bocadillos, also belegte Brötchen. Kevin nahm sich eins mit Schinken und Käse und ich eins mit Hähnchenbrust. Als dann das Essen kam, drehte sich mir fast der Magen um. Nicht dass es schlecht war, aber es war ein halbes Baguette welches längs in zwei Hälften geteilt war und mit dem Belag anscheinend in den Ofen geschoben wurde. Das Problem an der ganzen Sache war, dass wir seit Tagen unterwegs ständig nur noch Brötchen oder wirklich große Mahlzeiten bekamen und ich so langsam kein Gebäck mehr sehen konnte. Abhilfe kam jedoch in Form der röchelnden französischen Bulldogge, welche großes Interesse an unserem Essen zu haben schien. Diese war ein ganz besonderes Exemplar: Ihr fehlte das linke Auge und das rechte Auge quillte ungesund hervor uns war rot unterlaufen. Bei näherer Beobachtung kamen wir zu dem Schluss, dass das Tier wohl blind sein musste. Später erfuhren wir, dass die Bulldogge Dari hieß. Außerdem hatte die Besitzerin noch einen zweiten Hund, einen Mops namens Bella. Auch an Katzen mangelte es nicht, wobei es unklar war, was davon Straßenkatzen waren und was nicht. Uns fiel dabei eine Katze ganz besonders auf, weil sie wie eine böse Form von Iva aussah. Während ich die Hähnchenbrust vom Baguette kratzte, ich hatte sowieso keinen so großen Hunger, bekam Dari Stückchen für Stückchen mein Baguette und schloss so direkt Freundschaft mit mir. Mit unseren, nun richtig eingestellten, Rucksäcken und unserer Wanderausrüstung waren wir natürlich unschwer als Pilgernde zu identifizieren. So kam die Besitzerin nach kurzer Zeit wieder zu uns und erklärte, dass sie Zimmer für Pilgernde hätte. Ich hatte den Ort natürlich in der Zwischenzeit auch schon ergoogelt und tatsächlich sah die Herberge gar nicht mal so übel aus und die Frau bot uns sogar einen recht günstigen Preis an, sodass wir direkt das Privatzimmer mit eigenem Bad nahmen.

Am späten Nachmittag beschlossen wir noch einmal ein wenig die Stadt zu erkunden. Caldas de Reis ist keine Stadt, die einem sonderlich in Erinnerung bleibt. Sie ist weder schön noch hässlich, sondern in jeglicher Form durchschnittlich. Immerhin gab es einen hübschen grünen Park und neben dem Park fanden wir ein wirklich schönes Restaurant in dem wir ein wenig Kaffee und Tee tranken und tatsächlich: Dieses Restaurant hatte auch ein Frühstücksangebot. Und was für eins! Keine trockenen Brötchen, nein! Joghurt mit Früchten, Pancakes, Müsli und was man sich sonst noch so wünscht. Nach kurzer Nachfrage beim Kellner vergewisserten wir uns, dass das Frühstücksangebot morgen wirklich ab 07:00 Uhr, wie ausgeschrieben, angeboten würde, was der Kellner bejahte. Immerhin, der morgige Start in den Tag war gerettet.

Abends brauchten wir eher unseren eigenen Proviant auf, das hieß es gab Instant Ramen welches ich mit frischem Gemüse aufgepeppt hatte. Außer uns war noch eine Gruppe Spanier in der Herberge und obwohl sonst alles frei war, hatten sie natürlich das Zimmer direkt neben uns. Sie waren vor kurzem erst losgelaufen und das merkte man ihnen auch an, da sie sich bis zur späten Stunde in ihrem Zimmer lauthals unterhielten und lachten. Als sie dann doch endlich einschliefen drang lautes Geschnarche durch die viel zu dünnen Wände. Das war dann für uns eher eine kurze Nacht.

Seiten: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16