Reisen

Jakobsweg (2022)

Etappe 2: Joudina (Gião) – Pedra Furada

Nach unserer ersten Etappe haben wir mehr als gut geschlafen. Wir standen auf und frühstückten ausgiebig in der Unterkunft. Dann ging es auch schon auf zu unserer zweiten Etappe. Porto hatten wir längst hinter uns gelassen und so wurden die Landschaften nun deutlich schöner. Eine Frage, die wir häufiger hören und mit der sich viele Leute befassen wenn sie sich über den Jakobsweg informieren ist, was man eigentlich unterwegs macht. Ja, man wandert und genießt die Natur und ja, wenn man, wie in unserem Fall, nicht alleine läuft unterhält man sich auch, aber die Natur, so schön sie auch sein mag, wechselt auch nicht alle 2m und irgendwann hat man auch alles zueinander gesagt. Für einige Leute fängt hier das spirituelle Erlebnis an, ich persönlich kann damit aber nicht viel anfangen. Klar ist es schön zur Ruhe zu kommen, aber für die “große Erleuchtung” haben wir den Weg nicht gemacht. Von anderen Berichten und Videos von Pilgernden weiß ich, dass sie häufig auch Podcasts, Hörbücher oder Musik gehört hatten. Das Traf sich gut, da Kevin und ich kurz vor der Reise den Sänger Alligatoah für uns entdeckt haben. So hatte Kevin sich die entsprechenden Alben auf das Handy geladen und jeder von uns hatte einen Stöpsel im Ohr über den wir unterwegs die nicht ganz jugendfreien aber wirklich guten Texte hörten. Aus unseren Lieblingsliedern habe ich dann nach einigen Tagen eine Playlist erstellt, die wir dann immer und immer wieder hörten. Es mag Leute geben, die nun die Nase rümpfen wenn sie lesen, dass wir mit Liedern wie “Willst Du” oder “Fick ihn doch” im Ohr den Jakobsweg gelaufen sind (und nach ein paar Tagen auch gerne mal mitgesungen haben, sobald wir etwas textsicherer waren), aber wer sagt denn wie man den Jakobsweg zu laufen hat? Wer sagt, ob man dabei Musik hören kann? Und wenn ja, welche angebracht ist und welche nicht? Eben. Wir hatten Spaß, diskutierten über die Texte und sangen lautstark mit, wenn wir mal wieder einen menschenleeren Abschnitt des Weges passierten. Und wir hatten wirklich Spaß dabei. Vielleicht ist das also auch genau die richtige Art den Jakobsweg zu laufen.

Gerade verstummte “Denk an die Kinder” in unseren Ohren, als wir den kleinen Ort Viarão erreichten. Hier führten die gelben Pfeile uns auf einem kleinen Umweg hoch zu der Kapelle Santo Ovídio mit einer wirklich großen Schaukel daneben. Wir setzten uns jeweils in die Schaukel und während einer nach dem anderen hin und her schaukelte, kam man dem Horizont mit der wunderschönen Aussicht immer näher. Die Schaukel sollte nur die erste kleine Überraschung auf der heutigen Etappe sein. Wir kamen immer wieder an zahlreichen Kleinigkeiten für Pilgernde vorbei: Eine Kirche mit einer Figur des Pilgers Jakobus, einer kleinen Ruheecke mit Wasser und kostenlosen frisch gepflückten Mandarinen, die wir direkt probierten, weitere Pilgerfiguren, Wegweiser wie viele Kilometer es noch bis Santiago sind und schließlich ein recht neu gestalteter Erholungspunkt mit viel Grün und zahlreichen Schuhen. Zwischendurch holten wir uns recht unkompliziert in einem Pilgercafé unsere ersten Stempel für heute ab. Die Wege waren an dem Tag nicht immer optimal, Kevin beklagt sich gerne über zu viele und zu spitze Steine. Generell war der Weg heute aber deutlich anstrengender als am Vortag. Wir waren jedoch auch noch nicht wirklich eingespielt, es war ja erst Tag 2. Da wir außerhalb der eigentlichen Saison unterwegs waren, waren wir meistens überall alleine. Heute sahen wir jedoch von weitem einen anderen Pilger, der aber so schnell unterwegs war, dass er uns nach kurzer Zeit abgehangen hatte, ohne uns überhaupt bemerkt zu haben. Zwischendurch machten wir Mittagspause in einer Bar, die von außen zwar klein aussah, aber von innen dann doch recht groß war. Ich bestellte mir wieder einen Cappuccino, bekam aber stattdessen einen Espresso. Dies sollte mir in den nächsten Tagen noch häufiger passieren. Mir ist bis heute nicht ganz klar, ob die Leute in Portugal das Wort Cappuccino für Espresso verwenden, es würde aber so einiges erklären.

Schließlich kamen wir erschöpft in unserer Unterkunft an. Dies war wieder eine private Herberge. Wir konnten wählen zwischen dem Schlafsaal und einem Privatzimmer und weil letzteres gar nicht mal so teuer war, gönnten wir uns den Luxus der Zweisamkeit. Durch die geöffnete Tür sahen wir, dass sich ein anderer Pilger im Schlafsaal befand, es war jedoch nicht derjenige, den wir vorhin gesehen hatten. Wir hatten auch keine Gelegenheit uns mit ihm zu unterhalten, da er wirklich nur im Schlafsaal war. Dabei war die Herberge wirklich hübsch. Es gab einen Pool, für den es aber zu dieser Jahreszeit zu kalt war. Außerdem gab es eine Küche mit einem Vorrat an Walnüssen und an Kaffee. Die Küche war noch vom Valentinstag mit Herzchen und Rosen dekoriert. Hinter dem Gebäude gab es einen Garten mit Orangenbäumen an denen saftige reife Orangen hingen. Wir pflückten uns direkt die größte und schönste Orange für unser Frühstück morgen.

Schräg gegenüber von der Herberge gab es ein Restaurant, welches sich auf Pilgernde spezialisiert hat. Dies ist ohnehin ein weit verbreitetes Geschäftsmodell. Wenn es irgendwo eine Herberge gibt, so gibt es daneben in der Regel auch ein Pilgerrestaurant mit Pilgermenüs. So aßen wir zu Abend unser erstes Pilgermenü: Gemüsesuppe, Reis mit Bohnen und Spinat und dazu Fischkroketten. Nach all den Strapazen des Tages schaufelten wir das köstliche Essen in uns hinein und ließen es uns schmecken. Pilgermenüs sind in der Regel riesig und sie sind sehr günstig, was, wie wir gelernt haben, an einem ganz bestimmten Detail liegt: Sie sind in der Regel unversteuert. So bekommt man die günstigen Pilgerpreise immer nur dann, wenn man in bar bezahlt und natürlich gibt es am Ende keine Quittung. Das Restaurant verkaufte zudem Pilgermuscheln von denen wir uns ebenfalls zwei kauften, sodass jeder von uns eine Muschel am Rucksack hatte. So endete auch unser zweiter Tag auf dem portugiesischem Jakobsweg. Ein letzter Blick auf unsere Smartphones ließ und aber nichts gutes erahnen: Die nächsten 2-3 Tage sollte es regnen.

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