Reisen

Jakobsweg (2022)

Etappe 3: Pedra Furada – Portela de Tamel

Die Wettervorhersagte sollte Recht behalten: Am nächsten Tag holte uns der Regen ein. Wir legten unsere Regenponchos an und liefen los. Trotz des Regens war der erste Teil der Strecke recht angenehm. Er war größtenteils eben und hier und da waren wieder Kleinigkeiten für Pilgernde zu entdecken, wie zum Beispiel schöne Kacheln mit der Route drauf. Auf dieser Etappe durchquerten wir auch Barcelos. Dies war eine etwas größere Stadt in der viele Pilgernde Halt machen. Da sie aber gerade einmal 9,7km von Pedra Furada entfernt war und wir noch genügend Kräfte hatten, beschlossen wir weiter zu marschieren. Dennoch konnten wir uns einen Teil der Stadt beim Durchqueren angucken, wenn auch getrübt durch den Regen. An der Kathedrale von Barcelos machten wir Halt, da wir davon ausgingen, dass dies ein guter Ort für Stempel sein könnte. In der Kathedrale selber war niemand, aber die Tür zur Sakristei war geöffnet und drinnen war der Pfarrer zusammen mit einem anderen Mann gerade dabei große Summen an Geld zu zählen. Für die Kollekte waren die Geldscheine klar zu groß. Etwas kleinlaut machten wir auf uns aufmerksam. Der Pfarrer packte das Geld weg und winkte uns herein. Wir erklärten, dass wir Pilgernde seien und Stempel brauchten (zwecks mangelnder Portugiesischkenntnisse geschah dies mal wieder mit Händen und Füßen) und der Pfarrer gab uns auch die ersehnten Stempel. Wieder draußen blickten wir leicht enttäuscht in unsere Pilgerpässe, denn von allen Stempeln waren diese hier die bislang langweiligsten und das bei so einer Kathedrale. Nichtsdestotrotz hatten wir unsere ersten Stempel für heute in der Tasche und konnten weiter ziehen.

Endlich lichtete sich das Wetter ein wenig, jedoch ging es die letzten Kilometer noch einmal etwas bergauf. Kurz vor unserem Ziel fing es dann auch wieder an zu regnen, sodass wir kurz darauf in der Pilgerherberge von Portela de Tamel standen. Sie befand sich direkt neben einer Kirche und war unsere erste staatliche Pilgerherberge. Die staatlichen Pilgerherbergen haben einen gewissen Ruf. Einige schlafen aus Prinzip nur dort, andere tun alles um sie zu vermeiden. Wenn man Bilder vom Jakobsweg sieht auf denen Leute in unbequemen Etagenbetten in Schlafseelen liegen und sich vor lauter Geschnarche die Ohren zu halten, dann handelt es sich dabei normalerweise um die staatlichen Pilgerherbergen. Privatzimmer gibt es hier nicht, geschweige denn ein eigenes Bad, und rein darf nur wer einen Pilgerpass hat. Die Preise sind wirklich sehr günstig, dafür darf man aber nicht länger als eine Nacht bleiben, denn man soll ja auf der Pilgerreise weiter kommen und nicht zu lange an einem Ort verweilen. Einerseits hatte ich ein wenig Angst vor den staatlichen Pilgerherbergen, andererseits war ich aber auch neugierig. Meine Angst war in diesem Fall unbegründet.

Im nächsten Moment begrüßte uns Carlos, der Host dieser Herberge, mit einem freundlichen: “Willkommen Pilgernde”. Er zeigte uns wo wir die nassen Sachen lassen konnten und uns abtrocknen konnten bevor er uns nach unseren Pilgerpässen fragte und uns alles weitere erklärte. Es gab mehrere Schlafsäle, sodass Kevin und ich einen gesamten kleinen Schlafsaal für uns hatten. Nachdem wir uns erstmal von unseren nassen Sachen entledigt hatten und unsere Wäsche gewaschen und aufgehangen war, schauten wir uns ein wenig in der Herberge um. Es gab eine Küche mit einem Münzautomaten für Kaffee an dem ich mich direkt bediente. Da die Herberge sich recht abgelegen befand, gab es eine kleine abschließbare Vitrine mit Lebensmitteln welche man bei Carlos kaufen konnte. Außerdem gab es noch eine weitere Vitrine mit Souvenirs. Da wir stets alles Sachen mit uns tragen mussten, waren wir im Gegenzug zu unseren anderen Reisen diesmal sehr vorsichtig was Souvenirs angeht. Trotzdem kaufte sich Kevin zumindest eine kleine Figur von einem Hahn, der ein regionales Wahrzeichen hier war. Wir unterhielten uns ein wenig mit Carlos, der seine Arbeit in der Herberge mit großer Leidenschaft ausführte. Er ist den Jakobsweg selbst auch schon einmal gelaufen und kennt die Etappen recht gut. Neben der Rezeption stand eine Etappenempfehlung mit Höhenprofil. Dabei fiel uns etwas auf, das vor allem Kevin Sorge bereitete: Demnächst würde eine (die Einzige, um genau zu sein) Bergetappe auf uns zukommen. Entgegen unserer Pläne jeden Tag 20km zu laufen, empfahl Carlos uns morgen 25km bis nach Ponte de Lima zu gehen. Dies sei zum einen eine sehr schöne Stadt und somit ein gutes Ziel und zum anderen sind es von dort nach Rubiãs, dem ersten Ort nach der Bergetappe, dann nur noch 17,8km, sodass wir dann sogar unter 20km wären uns somit mehr Kraft hätten. Nach kurzem Überlegen und der Betrachtung des Höhenprofils beschlossen wir Carlos Ratschlag anzunehmen, was wahrscheinlich genau richtig war.

Außer uns befand sich in der Herberge noch ein weiterer Pilger. Es handelte sich um einen älteren bärtigen Mann, der mit einem Stift in der Hand etwas in ein großes Notizbuch vor sich malte. Da er so versunken darin war, sprachen wir ihn zunächst nicht an. Als wir später noch einmal runter kamen in den Gemeinschaftsbereich, unterhielt Carlos sich gerade mit ihm. “Schaut mal, ein Künstler-Pilger”, sagte er und zeigte uns eine aufgeschlagene Seite auf der sich einige wirklich gut gezeichnete Portraits befanden. Der Name des Künstlers war Marinus und er kam aus den Niederlanden. Er war stolze 70 Jahre alt und dies war sein dritter Jakobsweg, aber sein erster alleine. Die ersten beiden Jakobswege ist er jeweils mit einem Esel beziehungsweise mit einem Hund an seiner Seite gelaufen. Nach dem Tod der Tiere will Marinus sich vorerst kein weiteres Tier zulegen, also läuft er seinen dritten Jakobsweg nun allein. Als Rentner hat er jede Menge Zeit und so läuft er entspannt von Stadt zu Stadt und zeichnet in sein Notizbuch was er sieht. Die Bilder sind, wie erwähnt, wirklich sehr gut und Marinus hat sogar ebenfalls einen eigenen Blog auf dem man so einiges über ihn erfährt, aber auch ausgewählte Werke betrachten kann: https://marinusth.com/
Selbstverständlich gab es gegenüber der Herberge ein Restaurant mit einem Pilgermenü. Da wir die einzigen Pilgernden in der Herberge waren, schlugen wir Marinus vor gemeinsam essen zu gehen, was er annahm. So unterhielten wir uns den Abend über über unsere bisherigen Erlebnisse und er erzählte von seinen Jakobswegen und davon wie es ist mit einem Esel zu wandern. Marinus ist ein wirklich sehr inspirierender Mensch und ich wünsche mir nichts sehnlicher als im Alter von 70 Jahren ebenfalls noch genügend Kraft und Gesundheit zu haben um eine derartige Reise machen zu können. Das Pilgermenü ließ diesmal übrigens sehr lange auf sich warten (wir warteten weit über eine Stunde), dafür war es aber auch wirklich sehr viel. Immerhin hatten wir dadurch aber die Gelegenheit uns lange mit Marinus zu unterhalten.

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