Reisen

Japan (2019)

Koya-san – Das spirituelle Zentrum Japans

San ist das japanische Wort für Berg. Wenn man an einem japanischen Berg denkt, so kommt einem natürlich sofort der Fuji in den Sinn. So mag es den einen oder anderen wundern, dass wir den Fuji gar nicht besucht haben. Der Grund dafür ist simpel: Man hat uns von mehreren Seiten davon abgeraten. Der Fuji sei touristisch überrannt und zu sehen gäbe es dort auch nicht wirklich was. Von Kevins Arbeitskollegin, die selber eine Zeit lang in Japan gelebt hat, kam stattdessen der Vorschlag zum Koya-san zu fahren. Koya-san hat zwar das San im Namen, da es auf einem Berg gelegen ist, es ist aber kein typischer Berg zum wandern und besteigen. Viel mehr handelt es sich um einen kleinen Ort mit unzähligen buddhistischen Klöstern und einem alten Friedhof, der von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt wurde. Von Kyoto aus ging es zunächst mit dem Zug und zum Schluss mit einer Art Seilbahn zum spirituellen Zentrum Japans, wie Koya-san häufig bezeichnet wird. Wir begaben uns zu einem der zahlreichen Klöster, was unsere mit Abstand teuerste Unterkunft in Japan war, aber auch die interessanteste. So ist es üblich, dass die Klöster vor Ort ihre eigenen Ryokans, traditionelle japanische Gasthäuser, betreiben. Da wir noch Zeit hatten bis zum Check-In, ließen wir unser Gepäck beim Kloster und machten uns auf den Ort zu erkunden. Im Gegensatz zu den anderen Sehenswürdigkeiten, die wir bislang in Japan besucht hatten, wurde Koya-san hauptsächlich von japanischen Reisegruppen besucht. In einem der größeren Restaurants gönnten wir uns zur Stärkung erst einmal zwei Schüsseln mit Reis und Schrimps bzw. mit Reis und Fleisch mit Ei und einen traditionellen eingelegten Tofu, der unglaublich weich war und einen wirklich interessanten Geschmack hatte. Wir waren zum Glück rechtzeitig da, denn kurz nach uns füllte sich das Restaurant mit einer großen Busladung an japanischen Touristen. Dies war nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass das Restaurant sich gleich neben dem besagten Friedhof befand. Dies war auch unser nächstes Ziel. Der Friedhof trägt den Namen Okunoin und hätte was seine Optik angeht problemlos in die Abenteuer von Indiana Jones oder Lara Croft reingepasst. Die alten Gräber waren von Moos übersäht. Auf und um den Friedhof herum befanden sich alte Bäume in deren Rinde und Wurzeln kleinere Figürchen saßen. Der Hauptweg mündete in einem Tempel, während einen die Nebenwege tiefer in den Wald führten, wo sich wieder neue Ruinen und Gräber erstreckten. Dadurch gab es wirklich überall etwas zu entdecken.

Da Koya-san, wie bereits erwähnt, hauptsächlich von Japaner*innen besucht wird, konnten wir auch noch ein ganz anderes interessantes kulturelles Phänomen beobachten. So unterschieden sich die japanischen Reisegruppen auf den ersten Blick nicht wirklich von irgendwelchen anderen Reisegruppen. Eine Reiseführerin bzw. ein Reiseführer lotste eine Gruppe Touristen von A nach B und blieb dabei immer wieder stehen um etwas zu erklären. Hier gab es allerdings einen kleinen Unterschied zu anderen Reisegruppen. Sobald die Reiseführerin oder der Reiseführer anfing etwas zu erklären, kam es aus der Reisegruppe in einer unglaublichen Synchronität im Chor: “Aaaah” oder “Oooh”. Dies wirkte leicht belustigend für unsere europäischen Augen und Ohren. Mittlerweile hatten wir dieses Land aber gut genug verstanden um dies als “typisch japanisch” abstempeln zu können und breit grinsend weiter zu laufen.

Zurück im Tempel war es mittlerweile Zeit für unseren Check-in. Ein junger Mönch balancierte gekonnt ein Tee-Gedeck auf einem Tablett und führte uns in den hinteren Teil zu unserem Zimmer. Um ein Haar hätte ich das Zimmer in Schuhen betreten, wir sind und bleiben Ausländer 😉 In der Mitte unseres traditionellen Zimmers befand sich ein kleiner Tisch auf dem der Mönch uns grünen Tee servierte bevor er sich höflich verabschiedete. Auf der einen Seite des Zimmers befand sich eine traumhaft schöne alte traditionelle Kommode und ein Standspiegel. Auf der anderen Seite waren unsere zusammengerollten Futons und zwei Yukatas, traditionelle Gewänder, die man in traditionellen Haushalten oder eben in Ryokans trägt. Nachdem wir unseren Tee konsumiert hatten, zog es uns jedoch schnell wieder nach draußen, wo wir den Ort noch weiter erkundeten. So befanden sich hier noch einige weniger verwunderliche Sachen, wie zum Beispiel ein großes imposantes Eingangstor, oder auch eine Art Tourismus-Center und natürlich viele Souvenirschops. Was uns jedoch in der Tat verwunderte war, dass wir hier auch den größten Ghibli-Laden gefunden haben, den wir auf unserer gesamten Japan-Reise sehen würden und das nachdem wir bereits in Tokio, Kyoto und Osaka waren.

Am Abend war dann in ganz besonderes Highlight im Tempel das Bad. Natürlich verfügte man nicht über ein eigenes Bad. Stattdessen öffnete jeden Abend für einen bestimmten Zeitraum das Ofuro, ein traditionelles japanisches Bad. Das funktionierte wie folgt: Zuerst musste man sich gründlich waschen. Dafür entkleidete man sich in einem kleinen Vorraum bevor man das eigentliche Badezimmer betrat. Hier gab es, vermutlich für uns Europäer, eine Dusche auf der rechten Seite. Auf der linken Seite waren mehrere kleinere Waschplätze mit Trennwänden dazwischen. Hier setzte man sich auf einen Hocker und musste sich erst einmal aufs Gründlichste waschen. Erst wenn man wirklich sauber war, durfte man das große Badebecken betreten, das gefüllt war mit sehr warmem Wasser. Hier konnte man die Augen schließen und einfach ein bisschen entspannen, bevor es wieder in den Vorraum ging, wo man sich abtrocknete und in den Yukata schlüpfte.

Auf den dünnen Futons und damit eigentlich fast direkt auf dem mit teuren Tatami Matten ausgelegten Boden zu schlafen war für uns europäer zugegeben schon etwas gewöhnungsbedürftig. Es war jedoch so oder so keine lange Nacht, denn unsere Wecker klingelten besonders früh, um um 06:00 Uhr morgens an der Feuer-Meditation teilnehmen zu können. Der junge Mönch vom Vortrag begrüßte alle und führte uns zur Meditations-Halle, wo für uns Gäste bereits Hocker aufgestellt waren. Der vordere Teil der Meditations-Halle bestand aus drei Bereichen. Links uns rechts kümmerte sich jeweils ein Mönch oder eine Nonne um ein Feuer in einer aufwendig verzierten Feuerstelle. In der Mitte saßen sich die übrigen Mönche und Nonnen in zwei Reihen gegenüber. Kurz darauf ging es los. Die Mönche und Nonnen begannen im Chor Mantras zu rezitieren bis sie vollkommen im Trance zu sein schienen. Links und rechts knisterte währenddessen das Feuer. Ursprünglich dachten wir, dass wir lediglich stille Zuschauer sein würden, doch mitten drin standen einige Mönche auf uns integrierten uns in die Zeremonie. Sie führten uns an ihren Heiligtümern vorbei, wo wir uns an einigen einfach nur verbeugen sollten, an anderen mussten wir Wasser (oder Tee?) in ein Glas einschenken. Damit hätten wir nicht gerechnet, weswegen wir wohl etwas überrumpelt wirkten, aber rückwirkend betrachtet war es natürlich unglaublich cool, dass wir aktiv bei der Meditation mitmachen konnten. Mit diesen Eindrücken packten wir auch schon unsere Sachen zusammen und machten uns auf zu unserem nächsten Ziel.

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