Reisen

Skandinavien (2021): Von Thüringen zum Nordkap und zurück

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Sandnessjøen und die unbezwungenen Schwestern

Sandnessjøen liegt streng genommen nicht ganz auf dem Weg zum Nordkap. Stattdessen mussten wir einen kleinen Bogen nach Westen einschlagen um über eine Lange Brücke auf die Insel Alsten zu gelangen. Der Ort sah aber online so malerisch schön aus, dass er uns diesen Umweg wert war. In strömendem Regen brachen wir auf und ich bin im Wagen ordentlich durchgefroren, da wir vom Zusammenpacken noch ziemlich nass waren, aber erst kurz vor Ende der knapp 6-stündigen Fahrt gemerkt haben, dass wir die Kühlung im Wagen die ganze Zeit an hatten. Es grenzt an ein Wunder, dass wir uns nicht erkältet haben. Auch unsere Mittagspause, wir haben uns im Vorfeld Brote geschmiert, verbrachten wir im viel zu kalten Auto, während draußen der Regen unaufhörlich und unbarmherzig vom Himmel prasste. Das war dahingehend sehr schade, da die Raststätte einen wirklich schönen Außenbereich hatte, ähnlich zu der Raststätte an der wir unterwegs in Richtung Trondheim gehalten hatten. Während die Scheibenwischer auf maximaler Stufe versuchten uns zumindest ein bisschen die Sicht auf die Straße zu gewähren, passierten wir einen großen Torbogen, welcher uns darauf hinweisen sollte, dass wir nun in Nord-Norwegen waren. Nur einmal hatten die Scheibenwerfer eine kurze Pause, als wir einen 11km langen Tunnel passierten. Als wir schließlich die Brücke nach Alsten passierten, sahen wir aber, dass der Weg sich gelohnt hatte: Vor uns erstreckte sich eine gewaltige Bergkette wie aus dem Bilderbuch. Während die Brückenpfeiler links und rechts an uns vorbeizogen, standen die Berge still und je mehr wir uns ihnen näherten, desto enormer waren sie.

Da es Sonntag war und der einzige Campingplatz in der Gegend etwas außerhalb war, steuerten wir einen Supermarkt im Stadtkern von Sandnessjøen an. In Norwegen haben Supermärkte bestimmter Ketten auch sonntags geöffnet, allerdings nur mit einem reduzierten Angebot. Das heißt, dass ein Teil des Supermarktes abgesperrt war und aufgrund der Corona-Bestimmungen auch weniger Leute gleichzeitig hinein durften, weswegen wir etwas Schlange stehen mussten. Mit dem Nötigsten für die kommenden Tage ging es dann, weiterhin begleitet vom unbarmherzigen Regen, in Richtung Campingplatz.

Dort angekommen standen wir erst einmal eine Weile im Regen, da die Rezeption verschlossen war. Daneben befand sich eine digitale Klingel und eine Notiz die einen informierte, dass man klingeln und 5 min warten sollte. Tatsächlich kam nach fast exakt dieser Zeit ein Wagen vorgefahren und eine freundliche Norwegerin stieg aus, erfreut darüber neue Gäste auf ihrem kleinen Campingplatz begrüßen zu können. Während der Wartezeit realisierten Kevin und ich, dass nicht nur wir beide komplett durchnässt und unterkühlt waren, sondern dass auch vieles im Auto durch das Ein- und Aussteigen nass war und wir keine Lust hatten nun noch länger im Regen zu stehen um unseren Schlafplatz aufzubauen. Als wir also endlich im Trockenen an der Rezeption standen, fassten wir den Entschluss anstelle eines Stellplatzes ein Zimmer zu mieten. Wir zahlten für eine Nacht und wurden zu einem länglichen Gebäude mit einer überdachten Terrasse und mehreren Türen, die zu den einzelnen Zimmern und zu einer Küche führten, gelotst. Unser Zimmer katapultierte uns gedanklich zurück zu Klassenfahrten, da es aus zwei Etagenbetten, einem Tisch mit zwei Stühlen und einem Schrank bestand. In diesem Moment fühlte es sich aber an wie das Paradies: Wir waren endlich im Trockenen und es war auch noch warm, sodass wir nicht mehr frieren mussten! Als sich dann noch heraus stellte, dass die Duschen nicht nur sauber, sondern auch komplett kostenlos waren, waren wir uns direkt einig, dass wir hier noch länger bleiben wollen und so am nächsten Tag direkt eine Nacht dazu buchen würden. Frisch geduscht und glücklich bereitete ich uns mal wieder Gemüsesuppe mit Fiskeboller zu und wir trafen eine weitere deutsche Familie aus in der Küche. Sie nutzten die Elternzeit aufgrund ihres neugeborenen Babys zum Reisen und hatten vor noch bis September unterwegs zu sein. Ein letztes Highlight unseres Zimmers war, dass der Campingplatz sich direkt neben einem kleinen Flughafen befand. Vom Fenster aus hatte man beste Sicht auf die Start- und Landebahn und so beobachtete ich die kleinen Segelflugzeuge und Cessnas beim Starten und Landen.

Bei Sandnessjøen gibt es eine sehr schöne Bergformation, welche aus 7 Bergen, die als 7 Schwestern bezeichnet werden, besteht. Schon vom Campingplatz aus konnten wir diese bewundern. Am nächsten Morgen wollten wir die einfachste der Schwestern, Skjæringen, in Angriff nehmen. Der Wanderweg war sehr gut ausgeschildert und begann malerisch in einem kleinen Wäldchen hinter einem Parkplatz. Kurz daraus verließen wir das Wäldchen jedoch und vor uns erstreckten sich die 7 Schwestern. Von dort an begann der Weg sehr steinig zu werden. Rote Pfeile sowie der Buchstabe T (vermutlich für “Trail”?) zeigten uns den Weg. Dieser war so aufgebaut, dass er zwischen Skjæringen und den Tvillingene, dem benachbarten Berg mit zwei Gipfeln, den Zwillingen, entlang führte. Oben gab es dann ein Plateau wo man entweder nach links oder nach rechts abbiegen konnte. Skjæringen war nicht nur der angeblich einfachste Berg, sondern er wurde online sogar als familienfreundlich beschrieben. Ich weiß nicht, wie norwegische Familien so drauf sind, aber der Aufstieg war alles andere als einfach. Aus den ersten Steinen wurden steile Felsen, die es zu erklimmen galt. Zum Glück spielte das Wetter mit, denn bei Regen muss das wohl unglaublich rutschig sein. Jeder Schritt musste gut durchdacht sein, damit man nicht abrutscht. Zwar war es nicht so steil, dass man klettern musste und auch wenn man mal abgerutscht ist, ging es nur ein paar Meter runter, sodass es nicht wirklich gefährlich war, aber es war wirklich hart.

Kevin wurde das Ganze nach ca. 1h zu viel und er beschloss umzudrehen. Wir verabredeten, dass er mich einfach mit dem Auto vom Parkplatz abholt, wenn ich zurück bin. Während Kevin also zum Campingplatz zurück fuhr und sich im Zimmer auf seinem Laptop einen Film anschaute, stieg ich Schritt für Schritt die immer steiler werdenden Felswände hinauf. Je höher ich kam, desto steiler wurde es. Hin und wieder rutschte ich ab, stand wieder auf und ging weiter. Die Luft wurde dünner und ich zog meine Jacke ständig an und aus, denn mit Jacke schwitzte ich, aber da es immer kälter wurde je höher ich kam, fing ich schnell an zu frieren, sobald ich meine Jacke wieder auszog. Hin und wieder machte ich eine kurze Verschnaufpause und blickte mich um. Die Aussicht war schon auf halber Strecke überwältigend, aber je weiter man kam, desto größer wirkte der Berg. Keuchend und schnaufend setzte ich weiter einen Fuß vor den anderen. Einfach? Familienfreundlich? Was ist nur los mit diesen Norwegern? Sind die wirklich so hart? Die Luft wurde dünner, die Temperaturen kühler und mit jedem Schritt stützte ich mich mehr auf meine Wanderstöcke, ohne die ich es wahrscheinlich gar nicht erst so weit geschafft hätte. Jedes Mal, wenn ich dachte ich wäre schon fast auf dem Plateau, kam eine neue noch steilere und noch größere Felswand zum Vorschein. Mittlerweile war jeder Schritt eine Qual, da kam eine Art höheres Zeichen: Eine dicke Wolke wanderte in Richtung Gipfel bis dieser vollkommen umschlossen war. Wer auch immer gerade auf dem Gipfel war, konnte wahrscheinlich nur wenige Meter weit gucken. Nein, dafür würde ich mich nicht so quälen, das war es mir nicht wert. Ich gestand mir ein, dass die sieben Schwestern mich bezwungen haben anstatt ich sie. So fasste ich den Entschluss nur bis zum Plateau zu gehen und nicht bis zum Gipfel. Endlich angekommen blieb mir nicht nur vor Anstrengung die Luft weg: Die Aussicht war mehr als atemberaubend. Hinter mir konnte man über ganz Alsten blicken und vor mir erstreckte sich eine traumhafte Landschaft bestehend aus Bergen und Wasser, welches die Sonnenstrahlen reflektierte. Deswegen quälen sich die Menschen immer und immer wieder hier hoch. Deswegen habe ich mich hier hoch gequält. All die negativen Gedanken waren plötzlich weg und mir war klar, dass ich den Aufstieg hierfür immer und immer wieder auf mich nehmen würde.

Wie geplant, stieg ich nach meinem Besuch auf dem Plateau wieder hinab, wobei ich mehrfach wegrutschte und ein paar Meter auf dem Hintern hinunter schlitterte. Nachdem Kevin mich, wie geplant, abgeholt hatte, kehrten wir zum Campingplatz zurück, wo wir die Besitzerin aufsuchten, um unsere zweite Nacht zu bezahlen. Dabei nutzten wir die Gelegenheit, um sie direkt nach Tipps zu fragen, was wir für den Rest des Tages noch machen könnten. Sie empfahl uns die Insel weiter runter nach Südwesten zu fahren. Dort sollte sich eine Kirche und ein kleines Museum befinden und man könne da gut spazieren. Nach einem kurzen Abstecher zum Zentrum von Sandnessjøen zum Aufstocken unserer Vorräte, befolgten wir ihren Rat, der sich als wahrer Geheimtipp herausstellte. Die Kirche war eine typisch skandinavische Holzkirche und wie so ziemlich alle Kirchen, die wir auf unserer Reise sehen sollten, leider verschlossen. Daneben befand sich ein fast schon unpassend moderner Bau, welcher sich als Petter Dass Museum entpuppte. Petter Dass, so fanden wir heraus, ist ein bekannter norwegischer Dichter, quasi der norwegische Goethe 😉
Da wir mit norwegischer Poesie nicht viel anfangen konnten, was unter anderem auch an unserem Mangel an Norwegisch-Kenntnissen liegt, besuchten wir nur kurz den Souvenirshop, nicht aber das Museum. Hinter dem Museum gab es einen sehr schönen Pfad entlang der Küste. Dort befanden sich Schafe, die munter über den vorhandenen Zaun sprangen und diesen somit sinnlos machten. Zudem graste ein Pferd ruhig vor sich her und ließ sich sogar streicheln. Im weiteren Verlauf führte der Pfad über Holzplanken durch einen Mini-Wald entlang, bis wir schließlich an der Spitze einer kleinen Halbinsel ankamen, wo wir kurz den tollen Blick über den Fjord genossen, bevor wir umdrehten und wieder zum Auto zurückkehrten.

Den Abend verbrachten wir damit den Campingplatz weiter zu erkunden, da dieser recht verwinkelt war. Zum einen fanden wir ein paar schöne Zeltplätze umgeben von Bäumen, zum anderen gab es aber auch ein paar Meter weiter einen Haufen mit Sperrmüll. Schließlich kamen wir bei einem alten verlassenen Bootshäuschen raus vor dem ein Angler sich gerade sein Abendessen fischte.

Mit unserer kleinen Erkundungstour endete unser letzter Tag in Sandnessjøen. Am nächsten Tag sollte es weiter in Richtung Norden gehen.

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