Reisen

Tunesien (2023)

Dieser Reisebericht startet mit einem Geständnis: Tunesien war auf meiner imaginären Liste von zu bereisenden Ländern eher auf einem der hinteren Plätze anzutreffen. In meinem Kopf assoziierte ich es immer mit einem typischen Reiseziel für Leute, die sich zwei Wochen lang in einem All Inclusive Hotel einsperren wollen. Dann kam plötzlich die E-Mail, die alles veränderte. Ich hatte zuvor zusammen mit meinem Chef ein Paper auf der AfricaCrypt Konferenz eingereicht und da tauchte sie wie aus dem Nichts plötzlich auf: Die E-Mail mit der Bekanntmachung, dass unser Paper für die Konferenz akzeptiert worden ist. Ich lief jubelnd durch die Wohnung, schließlich war dies ein entscheidender Meilenstein auf dem Weg zu meiner Promotion. Austragungsort für die AfricaCrypt 2023 war Sousse in Tunesien und kurz darauf war nach Rücksprache mit meinem Chef klar, dass ich zum Präsentieren dorthin fliegen würde. Da packte mich plötzlich doch die Neugier. Mit Ägypten und Jordanien haben Kevin und ich dieses Jahr bereits zwei arabische Länder besucht und ich war absolut fasziniert von der Kultur. Wie würde Tunesien im Vergleich dazu sein? Mein Chef erlaubte mir etwas eher anzureisen und auch noch etwas länger zu bleiben, was mir knapp 6 Tage einbrachte um das Land auf eigene Faust zu erkunden. Sechs Tage als Frau alleine durch Tunesien. So viel kann ich schon einmal verraten: Dieses Land hat mich absolut begeistert!

Tunis-Carthage International Airport – Auf der Suche nach dem Linienbus

Meinen ersten Kontaktpunkt mit Tunesien hatte ich bereits als ich in Frankfurt ins Flugzeug stieg und meinen Platz einnahm. Neben mir saß ein älterer Tunesier und da war beide alleine reisten, kamen wir irgendwie ins Gespräch. Er stellte sich als Jimmy vor (ja, kein sehr arabischer Name) und wohnte bereits seit 50 Jahren am Bodensee. Seine Reise in die Heimat hatte einen traurigen Anlass, denn sein Bruder war verstorben und er wollte zur Beerdigung. Während des Fluges erzählte er mir mehr aus seinem Leben. Er war damals verheiratet und hatte zwei Kinder als sich für ihn die Möglichkeit ergab als Gastarbeiter nach Deutschland zu kommen. Vor Ort angekommen realisierte er, dass er in Deutschland bleiben wollte. Seine Frau wiederum wollte Tunesien nicht verlassen. Und so einigten die Beiden sich darauf sich einvernehmlich scheiden zu lassen, was vor 50 Jahren sicherlich noch deutlich komplizierter war als heutzutage. Die Beiden haben, schon allein der Kinder wegen, noch immer Kontakt und sie haben es beide hingekriegt ihre Leben nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten und zu leben. Außerdem gab Jimmy mir noch ein paar Tipps für die Reise. Von Tunis nach Sousse käme ich am besten mit der Louage, einem Sammeltaxi. Neben Tunis und Sousse seien Hammamet und Monastir noch schöne Orte zu bereisen. Sfax sei auch sehr interessant, aber für meine knapp berechneten Reisepläne wahrscheinlich etwas zu weit weg. Während wir uns so unterhielten, überquerte das Flugzeug Italien und das Mittelmeer und setzte schließlich zur Landung am Flughafen in Tunis an. Ich bedankte mich bei Jimmy für das tolle Gespräch, wünschte ihm noch alles Gute und wir verabschiedeten uns voneinander.

Das Visum bekam ich problemlos in meinen Reisepass gestempelt und meinen Koffer erhielt ich auch nach kurzer Zeit. Nun musste ich die erste Herausforderung meistern: Ich musste es irgendwie vom Flughafen zu meiner gebuchten Unterkunft schaffen, die sich im Stadtkern befand. Natürlich hatte ich meine Hausaufgaben gemacht: “Traue keinem Taxifahrer am Flughafen”, hieß es in sämtlichen Reiseberichten und Reiseführern. Angeblich soll sich in der Nähe des Flughafens eine Bushaltestelle befinden und der Bus würde sogar fast genau vor meiner Haustür halten. Ich kämpfte mich also durch die Horde an Taxifahrern, die in einer allein reisenden europäischen Frau wohl eine Goldgrube sahen, überquerte den Parkplatz und fand mich schließlich an einem Polizeicheckpunkt wieder, der sich bei der Einfahrt zum Flughafen befand. Von der Bushaltestelle war noch immer nichts zu sehen. Selbstbewusst ging ich auf die Polizeibeamten zu und fragte, wo denn die Haltestelle sei. Über die Straße und dann in die gegenüberliegende Straße rein, dort nach links, da würde ich sie finden. Alles klar. Zum Glück war ich dieses Jahr bereits in Ägypten, sonst hätte mir die zu überquerende Hauptstraße mächtig Angst gemacht. Über die Straße und in die gegenüberliegende Straße rein. Okay. Weiter geht’s. An dieser Stelle realisierte ich, wie schlecht der Zeitpunkt für die Konferenz gewählt war. Es war Juli und obwohl es noch am Vormittag war, zeigte mir meine Wetter-App bereits 38°C an – Tendenz steigend. Ganz schön heiß hier und weit und breit kein Schatten. Na ja, so weit kann die Bushaltestelle ja nicht mehr sein, also weiter. Die Straße zog sich ordentlich in der Hitze. Noch immer war keine Bushaltestelle zu sehen. Schließlich erreichte ich das Ende der Straße und ja, hier ging es nach links. Aus der Straße wurde ein Schotterweg, jedoch zeichnete sich hinten auch eine weitere Hauptstraße ab. Vielleicht war da ja die Bushaltestelle?

Während ich meinen Koffer über den Schotter zog, kam ein Auto vorbei gefahren, das kurz darauf anhielt und zurück setzte. Dort drin saßen zwei Männer, die sichtlich besorgt zu sein schienen und mich auf Französisch ansprachen. Blöd nur, dass ich absolut kein Französisch spreche. Ich versuchte auf Englisch zu antworten, jedoch schienen die Englischkenntnisse der Männer meinen Französischkenntnissen ebenbürtig zu sein. Na gut, dann vielleicht auf Arabisch? Weit gefehlt, das Arabisch in Tunesien hatte kaum etwas mit dem Hocharabisch zu tun, welches ich mal ein bisschen gelernt hatte. So scheiterte es schließlich an der Sprachbarriere: Die Männer konnten von mir nicht erfahren was ich hier machte und ob ich Hilfe brauchte und ich konnte aus ihnen nicht herauskriegen, wo denn nun diese verdammte Bushaltestelle war. Also starteten sie den Motor, winkten mir noch einmal zu und fuhren weiter.

An der Hauptstraße angekommen dachte ich für einen kurzen Moment, ich sei im falschen Film: Vor mir war der Flughafen. Fast 40°C, keine Bushaltestelle in Sicht und ich bin auch noch im Kreis gelaufen. Die Online-Beschreibungen, wo die Bushaltestelle sein sollte waren nicht sonderlich hilfreich, aber zumindest sollte da eine Bushaltestelle sein, wenn ich der Hauptstraße nach rechts folgen würde. Und tatsächlich stand ich kurze Zeit später vor einem verlassenen Bushäuschen! Erleichtert darüber, endlich mein Ziel und dazu auch noch ein schattiges Plätzchen gefunden zu haben, stellte ich mich in das Bushäuschen und ruhte mich kurz aus. Nach einer Weile begann ich mich umzuschauen. Leider hing hier kein Fahrplan (ich bezweifle, dass so etwas in Tunesien überhaupt existiert) und auch kein Schild mit Bus Nummern, welche hier hielten. Ein Auto nach dem anderen raste an mir vorbei über die Hauptstraße, Busse waren jedoch gar keine in Sicht. Egal wie lange ich stand, außer mir stand hier kein Mensch. Mein Gastgeber, Youssef, machte sich bereits Sorgen und fragte wo ich sei. Mit einer fast schon komödiantischen Naivität schrieb ich zu Beginn nicht, dass ich sicherlich bald da sein würde, immerhin hatte ich nach langer Suche ja die Bushaltestelle gefunden. Mein Optimismus schwand jedoch von Minute zu Minute.

Ich blickte raus aus dem Bushäuschen. Die Hitze ließ die Luft über dem Asphalt flackern. Zunächst traute ich meinen Augen kaum und dachte ich würde auf eine Fata Morgana hereinfallen: Verschwommen erschien ein Jogger am Horizont, der bei über 40°C lässig die Hauptstraße entlang joggte. Das Ganze erschien absolut surreal. Aber es war keine Fata Morgana. Der Jogger kam näher und ich witterte meine Chance, indem ich aus dem Bushäuschen sprang und ihn auf Englisch fragte wann denn der nächste Bus käme und warum hier keine Menschen seien. Tatsächlich war sein Englisch makellos. Im Vorbeigehen erklärte er mir, dass das öffentliche Verkehrssystem in Tunis vor einiger Zeit zum Erliegen gebracht wurde und ich mir ein Taxi rufen sollte. Ich solle jedoch nicht mehr als 5 Dinar für das Taxi zahlen. Und dann, ohne auch nur ein mal angehalten zu haben, lief er weiter und verschwand in der flackernden Hitze Nordafrikas.

Ich zückte mein Handy und schrieb Youssef, dass ich wohl oder übel ein Taxi nehmen müsse. Er zeigte sich sehr hilfreich und meinte ich solle ihm schreiben, sobald ich im Taxi sei und ihm meinen Standort schicken. Er würde dann dafür sorgen, dass der Taxifahrer mich nicht über’s Ohr haut. Taxen gab es zum Glück reichlich, also winkte ich mir das nächstbeste herbei und verhandelte knallhart auf meine 5 Dinar. Youssef rief mich an, sobald ich im Taxi sei und meinte wenn es Probleme gäbe, soll ich ihm den Fahrer ans Telefon geben. Zum Glück war dies aber nicht nötig. So verwirrt, wie ich von meiner Begegnung mit dem Jogger war, so verwirrt war der Taxifahrer davon mitten an der Hauptstraße an einer verlassenen Bushaltestelle am Rande von Tunis eine Blondine aufgesammelt zu haben. So kam ich schließlich, viel später als erwartet, in meiner Unterkunft an.

Tunis

Gleich im Zentrum von Tunis, neben dem Glockenturm in der Habib Bourguiba Avenue, befand sich meine gebuchte Unterkunft, ein Zimmer in einem AirBnB. Youssef selber war nicht anwesend und ich habe ihn auch kein einziges Mal persönlich gesehen. Die Unterkunft wurde von seinem Großvater Ahmed betreut. Ahmed war ein kleiner dünner Mann mit weißen Haaren und einem freundlichen Gesicht. Er sprach lediglich Französisch und Arabisch. Ich wiederum spreche kein bisschen Französisch und leider nur sehr wenig Arabisch (zumal das tunesische Arabisch wie bereits gesagt sehr wenig mit dem Arabisch zu tun hatte, das ich gelernt hatte). Und so kommunizierten wir einfach in einer Mischung aus Französisch, Arabisch und Englisch – gepaart mit Händen und Füßen, was tatsächlich viel besser funktionierte, als es klingt. Ahmed zeigte mir die Wohnung, gab mir die Schlüssel und zog dann wieder von dannen. Zwar nutzte er einen der Räume hier als eine Art Arbeitszimmer, aber er schien woanders zu übernachten, sodass ich die Wohnung den Großteil der Zeit für mich alleine hatte. Als er mir mein Zimmer zeigte, zeigte er mir auch den großen Lüfter, der auf der Rechten Seite des Raumes auf einem Regalbrett im Schrank platziert war. So klobig wie das Teil war, war das wohl die Klimaanlage. Na ohne Klimaanlage war es zu dieser Jahreszeit in Tunesien auch kaum auszuhalten. Ich ruhte mich kurz etwas aus, schrieb ein paar Nachrichten an die Familie, dass ich gut angekommen war, und machte mich dann bereit die Stadt zu erkunden.

Mein Ausgangspunkt war natürlich der besagte Glockenturm. Von dort aus folgte ich der Habib Bourguiba Avenue. Diese Straße ist wahrscheinlich die berühmteste in Tunis, denn in der Mitte der Schnellstraße befindet sich ein Prachtboulevard für Fußgänger*innen. Zwei Sachen fielen mir dabei auf: Zum einen halten sich tunesische Autofahrer*innen deutlich häufiger an Ampeln und sonstige Verkehrsregeln, als ich es aus Ägypten gewöhnt war. Zum anderen hat anscheinen, ähnlich wie in Ägypten, die Revolution ihre Spuren hinterlassen. Teile des Boulevards waren vom Militär gesperrt und es hingen große Schilder die deutlich machten, dass Fotografieren hier verboten war. Vor allem Statuen waren vom Militär abgesperrt, was mich wunderte, da das ja normalerweise die Haupt-Fotopunkte sind. Andererseits ließen die Soldaten mit ihren Maschinengewehren und mit den gepanzerten Fahrzeugen in mir auch nicht den Wunsch aufkommen die Grenzen des Fotografieverbots auszuloten.

Mitten auf dem Boulevard befand sich als Foto-Spot eine Aufschrift mit dem Inhalt “I ♥ Tunis”. Ironischerweise stand genau gegenüber von ihr eine vom Militär bewachte Statue mit Fotografieren-verboten-Schildern. So musste man sich für ein Foto also zwischen den Foto-Spot und ein paar Militärfahrzeuge quetschen und seine Fotos so machen, dass von dem Militär am Ende nichts zu sehen ist. Trotzdem wurde der Foto-Spot gut angenommen und ich bat eine Gruppe Frauen auch von mir ein Foto mit meinem Handy zu schießen, was sie dankenswerterweise für mich taten.

Läuft man den Boulevard weiter, so kann man zahlreiche Einflüsse von Außerhalb in den Gebäuden um einen herum entdecken. So passierte ich ein altes Theater und sogar eine Kirche. Am Ende mündet die Habib Bourguiba Avenue in die Ave de France, die wiederum am Bab al-Bahr, einem der alten Stadttore, endet. Dieses Tor zu passieren war wie an einen anderen Ort teleportiert zu werden. Während vor dem Tor eine Hauptstraße verlief und man mitten in der Hektik der Metropole war, so steht man nachdem man das Tor durchschritten hat plötzlich auf einem schönen orientalischen Platz und ist in der Altstadt von Tunis angekommen. An einem Brunnen spielten Kinder und Händler*innen verkauften Getränke und Snacks an mobilen Ständen.

Sobald ich den Platz überquerte, befand ich mich auch schon mitten im Souq, dem traditionellen Markt mit seinen engen verwinkelten Gassen in denen man sich nach kurzer Zeit bereits verlaufen hat. Genau das empfehle ich übrigens jeder Person, die mal einen Souq besucht. Man verläuft sich hier gerne, denn so ist jede Abzweigung eine neue Überraschung und man erblickt etwas Neues. Die Waren gingen von klassischen Souvernir-Läden, über Alltagsgegenstände und Kleidung bis hin zu billigem China-Ramsch. Natürlich wird man ständig von den Händlern angesprochen, doch das ist in der arabischen Welt auch ein Teil der Kultur und gehört an so einem Ort einfach dazu. Ein لا شكراً (“La Schukran”, deutsch: “Nein, danke”) genügt da in den meisten Fällen.

Im Herzen des Souq befindet sich die Ez-Zitouna-Moschee, die wichtigste Moschee der Stadt. Vor einiger Zeit konnte man sie anscheinend noch besuchen, davon zeugen zahlreiche Fotos im Internet. Leider ist der Besuch mittlerweile nur Moslim*innen vorbehalten. Da es um die Moschee herum so eng ist, kann man als nicht-moslimische Person leider nicht mehr sehen als die Säulenbestückte Fassade am Eingang. Gewiefte Geschäftsleute nutzen dies zu ihren Gunsten indem sie Cafés mit Panorama-Terrassen betreiben, von wo aus man das Minarett und mit etwas Glück ein bisschen was vom Innenhof erblicken kann. Selbstverständlich hat die ganze Sache einen Haken. Natürlich muss man etwas im entsprechenden Café bestellen, wenn man es sich auf der Dachterrasse gemütlich machen möchte. Glaubt man den Online-Bewertungen, so haben einige bis zu umgerechnet 14€ für einen kleinen türkischen Kaffee bezahlt. Natürlich zahlt man hier nicht nur für den Kaffee, sondern auch für die Aussicht. Mir war das aber zu teuer und so wimmelte ich die penetranten Café-Besitzer jedes Mal ab, auch wenn manche wirklich nicht locker lassen wollten und mich teilweise noch durch mehrere Gassen hinweg verfolgten.

Schließlich verließ ich den Souq auf der anderen Seite, natürlich nicht ohne mich noch mehrfach zu verlaufen, und befand mich kurz darauf auf dem Monument Place de la Kasbah, einem schön geschmückten Platz mit zahlreichen tunesischen Flaggen, die als Girlanden über den Platz platziert wurden.

Ich lief noch eine Weile durch die Stadt ohne ein konkretes Ziel zu haben. Stattdessen bog ich einfach ab, wenn mir danach war und ließ die Eindrücke auf mich wirken. Schließlich kam ich ein paar Blocks von der Ave de France raus, wo gerade eine Art Markt aufgebaut wurde. Dabei war es kein schöner traditioneller Souq und auch kein Markt mit Lebensmitteln oder sonstigem, sondern es wirkte eher wie am Rande der Legalität oder darüber hinaus. Zahlreiche Händler, darunter viele die sichtlich aus Subsahara-Afrika stammten, breiteten auf Decken Kleidung, Schuhe und sonstige Billigwaren aus. Auch das ist Tunesien: Einer der Hauptknotenpunkte für die Migration von Afrika nach Europa. Die Leute, die hier die Waren verkauften, hatten es von ihren Heimatländern bis hierher geschafft und versuchten nun mit dem Verkauf der Waren genug Geld aufzutreiben, um den Schlepper zu bezahlen, der sie dann in viel zu kleine Boote quetscht und sie auf dem Mittelmeer ihrem Schicksal überlässt. Ich will gar nicht wissen, wie viele der Menschen, die hier ihre Waren verkauften, dabei sterben wird, während ich das Privileg habe am Ende meiner Reise in ein Flugzeug steigen zu können um sicher nach Europa zu fliegen.

Der Tag war lang und so langsam machte sich eine Erschöpfung in mir deutlich. Da kam es mir gelegen, dass sich an der nächsten Kreuzung ein kleines Café befand, in das ich mich hinein begab. Der Café-Besitzer und sein Kellner, ebenfalls ein junger Mann, der dem Aussehen nach zu urteilen aus Subsahara-Afrika stammte, schienen überrascht eine Europäerin in ihrem Lokal zu sehen und sie begrüßten mich überschwänglich. Ich bestellte einen schwarzen Kaffee, den der Kellner mit maximaler Hingabe zubereitete und der Besitzer nutzte den Anlass meines Besuchs, um ein wenig zu plaudern (er sprach zum Glück sehr gut Englisch). Dabei ging es gar nicht so sehr um die typischen Touri-Themen (Woher kommst Du? Was machst Du hier? Wie gefällt es Dir?), sondern als wäre ich eine Stammkundin, ging es direkt um Sport. Ich hatte bereits mitgekriegt, dass an dem Tag ganz Tunesien nach London geblickt hatte, wo die tunesische Tennisspielerin Ons Jabeur das Wimbledon-Finale erreicht hatte. Wie mir der Café-Besitzer bestürzt mitteilte, hatte sie das Finale leider verloren. Direkt im Anschluss an diese Information, begann er auch schon mit der Spiel-Analyse. Ons sei zu aufgeregt und zu unerfahren gewesen und habe sich dadurch zu viele Fehler erlaubt, die ihre souveräne Tschechische Gegnerin Marketa Vondrousova ausgenutzt hatte. Kurz darauf betrat weitere Kundschaft das Café und der Besitzer machte sich wieder an die Arbeit. Ich trank meinen Café aus, ließ etwas Trinkgeld da, verabschiedete mich und brach wieder auf.

Langsam ging die Sonne unter, was in diesen Breitengraden bedeutete, dass die Leute aus ihren Häusern kamen. Da beobachtete ich eine Gruppe Demonstrant*innen vor dem alten Theater. Ich weiß nicht, für oder gegen was sie demonstrierten, aber es schien eine friedliche Demonstration zu sein. Sie standen auf den Stufen, sangen Lieder und schwenkten tunesische Flaggen. Ich ging noch in ein nahe gelegenes Einkaufszentrum, in dem sich ein größerer Supermarkt befand, um mir ein wenig zu Essen zu kaufen, denn tatsächlich war meine letzte Mahlzeit mein Frühstück in Deutschland gewesen. Zurück in der Unterkunft scheiterte ich daran den Gasherd anzuschalten (wie Ahmed mir am nächsten Tag erklärte, war der Gashahn aus Sicherheitsgründen zugedreht und er müsse immer erst manuell aufgedreht werden). Dadurch bestand mein Abendessen lediglich aus ein paar Crackern und Nüssen. Kaputt ließ ich mich in mein Bett fallen und schaltet die Klimaanlage an. Moment mal. Klimaanlage? Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Der Kasten im Regal war lediglich ein Ventilator. Eine Klimaanlage gab es in der gesamten Wohnung nicht. So anstrengend der Tag war, so anstrengend wurde auch die Nacht in der ich ständig schweißgebadet aufwachte, um ins Bad zu rennen und mich lauwarm abzuduschen, um wieder einschlafen zu können. Ich war in Tunesien. Es war Juli. Und ich hatte keine Klimaanlage!

Karthago und Sidi Bou Saïd

Auch wenn ich ordentlich unter der Tatsache litt, dass es in meiner Unterkunft keine Klimaanlage gab, so war die Lage dennoch unschlagbar. Trotz mehrfacher Duschen war ich (immer noch oder wieder) komplett schweißgebadet, als ich das Haus auf dem Weg zur Haltestelle Tunis Marine, dem Hauptknotenpunkt der Stadtbahn, verließ. Die Haltestelle war aber nur wenige Minuten Fußweg entfernt. Ich ging zum Ticketschalter und machte auf Arabisch, Deutsch, nicht existentem Französisch, Händen und Füßen (eine Kombination, die ich noch häufiger nutzen würde) deutlich, dass ich nach Karthago fahren wollte. Die Sprachkombination glückte und ich bekam sogar das Gleis gezeigt. Dort stand bereits eine Bahn, man machte mir aber deutlich, dass das die falsche Bahn sei und ich in die nächste steigen sollte. Beschilderungen gab es keine, also verließ ich mich auf diese Auskunft (die sich als richtig herausstellte). Die Bahn fuhr ab und kurz darauf kam auch schon die nächste. Einer der Mitarbeiter winkte mich in den 1. Klasse Wagon. Ich versuchte ihm zu erklären, dass ich nur ein zweite Klasse Ticket hatte, doch er winkte mich trotzdem rein und organisierte mir sogar im vollen Abteil noch einen Sitzplatz, bevor er wieder verschwand, um andere Zuggäste, die keine 1. Klasse Tickets hatten, aus dem Wagon zu schmeißen. Kurz darauf brachte er noch weitere Frauen und Leute, die legitim für die 1. Klasse bezahlt hatten, in den Wagon, wobei letztere zum Teil trotzdem stehen mussten. Später erfuhr ich, dass Taschendiebstahl und Belästigung hier in diesen Bahnen anscheinend auf der Tagesordnung stehen und der Mitarbeiter einfach nur aufmerksam war und vulnerable Personen wie allein reisende Frauen, vor allem mich als eine seltsame Europäerin, zum Schutz in die erste Klasse setzte. Hier zeigte sich, was ich auf meiner Reise immer wieder erleben sollte: Menschen aus Tunesien sind unglaublich nett! Da war ich aus anderen Ländern schlimmeres gewöhnt… Die Bahn passierte den See von Tunis, eine natürliche Salzwasser-Lagune. Auch wenn die viele Industrie die Aussicht nicht gerade malerisch machte, erkannte ich am Horizont Flamingos. Was ein Anblick!

Bei der Haltestelle Carthage Hannibal stieg ich aus. Hier sah es komplett anders aus als in Tunis. Im Gegensatz zur chaotischen Station Tunis Marine waren hier so gut wie gar keine Menschen. Der Bahnhof bestand aus zwei Gleisen. An jedem Gleis befand sich ein weißes Wartehäuschen mit den typischen orientalischen Fenstern, die oben rund sind und einem Vordach. Das Vordach und die Fensterrahmen waren in einem Blauton, wie er typisch ist für Sidi Bou Saïd, wo ich nachher noch hin wollte.

Vom Bahnhof aus führte eine breite ruhige Straße bis ans Meer mit einem kleinen Strand. Dank der Hitze waren bereits jede Menge Menschen im Wasser. In dieser Gegend wohnten sichtlich besser situierte Personen. Die hübschen Häuser verfügten über gepflegte Gärten und am Straßenrand parkte das eine oder andere Luxusauto.

Nachdem ich ein paar Atemzüge Meeresluft eingesogen habe, passierte ich die sauberen Straßen zu meinem ersten Ziel, den Antoninus-Pius-Thermen. Es war noch recht früh am Morgen und das Gelände hatte gerade erst aufgemacht. Ein Sicherheitsmann winkte mich durch und an einem Ticketschalter kaufte ich meine Eintrittskarte. Für läppische 12 tunesische Dinar konnte ich mit diesem Ticket sämtliche Sehenswürdigkeiten des antiken Karthago betreten. Dabei ist es unmöglich an einem Tag alles zu sehen, sodass ich mich bei meinem Besuch auf ein paar wenige Attraktionen beschränken musste. Mir entging nicht, dass sowohl der Sicherheitsmann als auch die Ticketverkäuferin sich sichtlich über Kundschaft freuten und erst als ich drin war verstand ich auch wieso: Außer mir war hier niemand, ich hatte das gesamte Gelände für mich alleine! Und was das für ein Gelände war! Der Eingangsbereich ähnelte eher einem botanischen Garten. Zu meiner Linken befanden sich unter anderem Gräber und die Ruinen einer frühchristlichen Basilika. Ich lief über Pfade die nicht so wirkten als sei da zuletzt jemand drüber gelaufen. Dabei entdeckte ich hinter jedem Grab wieder neue Ruinen.

Nachdem ich alles abgelaufen bin, ging ich weiter in Richtung Meer, wo sich einst die eigentlichen Thermen befanden. Die Ruinen waren wirklich imposant. Ich spazierte durch die Ruinen der einstigen Gebäude und passierte Säulen und den einen oder anderen Stein mit den Resten lateinischer Aufschriften. Noch immer hatte ich das gesamte Areal für mich alleine. Ich nutzte die Gelegenheit, um ausgiebig Fotos zu machen.

In der Nähe des Ausgangs befand sich ein kleines Café, in dem ich mir ein kühles Getränk holte (das Thermometer kratzte obwohl es erst Vormittag war bereits an der 40°C-Marke). Ich ließ mich auf einem der schattigen Plastikstühle im überdachten Außenbereich liegen von wo aus ich einen guten Überblick über das Gelände hatte. Eine kleine Gruppe Menschen (vielleicht eine Familie?) war gerade angekommen und spazierte nun mit einem Reiseführer in Richtung Thermen, aber sonst war das Gelände noch immer absolut menschenleer. Die Anzahl an Tourist*innen, die Tunesien besuchen, ist mittlerweile wieder mit dem Niveau von vor der Pandemie vergleichbar und doch war Karthago leer. Mir bleibt nichts als mit dem Kopf zu schütteln, wenn ich über die Ursachen nachdenke. Wahrscheinlich sperren sich die Leute lieber in ihre All-Inclusive Bunker ein und interessieren sich nicht für das Land hinter den Zäunen ihres tollen Resorts. Dabei hat Tunesien so viel zu bieten und ich bin unglaublich froh darüber, dass ich die Chance gehabt habe dieses Land kennenzulernen.

Weiter ging es zum Carthage National Museum. Direkt neben dem Museum steht die eindrucksvolle, wenn auch leider geschlossene, Kathedrale von Karthago. Dort versperrten bereits einige Reisebusse den Weg. Zwischen den Bussen sprangen zwei Männer plötzlich hervor. Der eine fragte mich nach einem Taxi, was ich ablehnte. Er ließ aber nicht locker und meinte ich würde in die falsche Richtung laufen. Das Museum habe zu, aber ich könne mich im Laden seines Freundes (offensichtlich der Mann neben ihm) kurz ausruhen und dann würde er mich mit dem Taxi zur nächsten Sehenswürdigkeit fahren. Für wie blöd hielten die mich eigentlich? Ich verneinte erneut und ging weiter. Die Reisebusse suggerierten, dass man das Areal hier sehr wohl besichtigen konnte. Der Taxifahrer ließ nicht locker. Er ging ein paar Schritte mit und erklärte mir, dass ich meine Zeit verschwende. Wütend drehte ich mich um und erklärte ihm, dass das meine Sache sei, ich weder jetzt noch später ein Taxi brauche und auch nicht vor habe hier Souvenirs zu kaufen, allem voran nicht bei seinem Kumpel. Kurz zuckte er zusammen, bevor er zu einem letzten Versuch ansetzte und fragte: “Ok, später?” “Nein, auch nicht später. Gar nicht.” Ich ließ ihn stehen und ging weiter in Richtung Eingang und siehe da, es war geöffnet. Einzig und allein das Gebäude war tatsächlich wegen Renovierungsarbeiten geschlossen, aber das große imposante Außengelände war begehbar und es gab hier sogar, dank der Reisebusse, einige andere Tourist*innen.

Neben zahlreichen alten Statuen, Ruinen und einigen versteckten Mosaiken, hatte man von hier auch eine fabelhafte Aussicht auf das heutige Karthago. Neben dem Museumskiosk, in dem ich mir ein kühles Getränk zur Erfrischung holte, weckte ein kleiner provisorisch aufgebauter Stand meine Aufmerksamkeit: Es gab ein Karthago VR Erlebnis. Auf der Theke lagen zwei Oculus-VR Brillen und man konnte sich für einen viel zu teuren Preis einen mittelmäßig animierten Film über das antike Karthago anschauen. Und trotzdem bin ich schon seit langem der Meinung, dass VR gerade im Kontext von Museen eine tolle Sache ist, weswegen ich mich freute ein solches Angebot hier zu sehen. Der unverschämt teure Preis und die Dauer des Videos hielten mich dennoch davon ab das Ganze auszuprobieren, zumal wir selber ein VR-Headset zu Hause hatten und ich zusätzlich dazu im Laufe meines Studiums schon oft genug so etwas auf hatte.

Als ich das Museumsgelände verließ, erwarteten mich die zwei Männer bereits und setzten zum erneuten Versuch an mich in den Souvenirladen oder in das Taxi zu locken. Ich stampfte wütend an ihnen vorbei und rief ihnen beim Vorbeigehen zu, dass sie mich gefälligst in Ruhe lassen sollten. Das hatte anscheinend gesessen, denn endlich gaben sie auf und setzten sich wieder in den Schatten der Reisebusse.

Die Mittagssonne war mittlerweile gnadenlos und eigentlich hätte ich ein Taxi gut gebrauchen können, aber bei den sich mir darbietenden Optionen setzte ich meine Erkundungstour zu Fuß fort. So kam es, dass ich an einer verlassenen Straße ohne Bürgersteig eine interessante Entdeckung machte. Vor mir zeigte sich der Eingang eines einst schönen, doch nun verlassenen und verwahrlosten Parks. Ein richtiges Lost Place. Da der Eingang offen stand siegte meine Neugierde und machte einen kleinen Abstecher. Der Park startete mit einer vertrockneten Allee, die immerhin etwas Schatten spendete. Der Boden war staubig und aufgeplatzt. Nach einiger Zeit lichtete sich die Allee und der Weg führte weiter ins Innere. Links uns rechts lag einiges an Müll und jede Menge Glasscherben. Schade, denn das muss einst ein schöner Ort gewesen sein. Bislang führte der Weg so entlang, dass man mich noch von der Straße sehen wollte. Mehr wollte ich auch nicht ins Innere vordringen, das war mir doch zu riskant und außerdem müsste ich dann durch die pralle Sonne laufen. Also drehte ich mich wieder um und war fast schon dankbar darüber, dass der Taxifahrer mich so genervt hat, sonst hätte ich womöglich tatsächlich ein Taxi genommen und hätte das hier gar nicht gesehen.

Es gibt vieles zu sehen in Karthago, da ich aber nur über begrenzt Zeit verfügte und die langen Fußwege doch kräftezehrender waren als erwartet, schaute ich mir als letztes nur noch das Amphitheater an. Leider war das eine kleine Enttäuschung, denn von dem bestimmt einst prächtigen Bau war kaum noch etwas übrig. Dies erklärte wohl auch, warum hier so gut wie niemand war. Nur ganz hinten im Schatten saßen zwei Männer und unterhielten sich. Ich begab mich ebenfalls dahin, um mich auszuruhen. Die waren ungefähr in meinem Alter und unterhielten sich auf polnisch. Ich gab jedoch nicht zu erkennen, dass ich sie verstand, da sie sich gerade angeregt über Bibelverse unterhielten und es wenige Unterhaltungen gab auf die ich gerade weniger Lust hätte als darauf.

Nach ein paar Fotos ging ich wieder zum Eingang, wo ebenfalls ein Taxi stand. Eine Gruppe Männer saß auf Plastikstühlen im Schatten. Ich ging zu ihnen und fragte nach dem Taxi. Einer der Männer gab sich als Taxifahrer zu erkennen und hatte sogleich Dollarzeichen in den Augen. Er könne mir eine super Tour anbieten zu einem angeblichen super Preis. Dafür könnte er mich den ganzen Tag fahren und vor den Sehenswürdigkeiten warten. Ich wollte jedoch zu keiner weiteren Sehenswürdigkeit hier, sondern zum Bahnhof. Das passte ihm leider gar nicht. Noch einmal pries er seine Tour an bevor er mir einen viel zu hohen Preis nannte um zum Bahnhof zu gelangen. Ich zeigte auf das Taxameter in seinem Auto und erklärte ihm, dass ich ihm bezahle was die Anzeige sagen wird. Er lehnte ab und erklärte, dass Taxameter doch eh nicht verwendet werden. Eine offensichtliche Lüge, also blieb ich hartnäckig und meinte Taxameter oder gar nicht. Dann gar nicht, meinte er und so ging ich auch den Weg zum Bahnhof zurück zu Fuß.

Anstatt nach Tunis zurück zu fahren, fuhr ich weiter nach Sidi Bou Saïd. Dabei handelt es sich um ein Künstlerdorf, das berühmt ist für seine Architektur. Alle Häuser sind weiß, während die Türen und Fenster in dem gleichen Blauton gestrichen sind. Es ist sogar verboten sein Haus in einem anderen Farbschema als diesem zu bemalen. Die Attraktion ist somit das Dorf selber, auch wenn hier sicherlich keine Dorfromantik im klassischen Sinne aufkommt, da es sich hierbei natürlich um eine touristische Attraktion mit entsprechenden Infrastruktur handelt. Unweit vom Bahnhof holte ich mir einen frisch gepressten Orangensaft, der bei der Hitze die perfekte Erfrischung war. Ich spazierte eine Weile durch die Gegend, bevor ich an einem hippen Café vorbei kam. Sie warben neben Kaffee und frischem Saft auch mit Speisen und mit einer Klimaanlage. Welch Segen, denn es war heiß und ich hatte Hunger! Also versuchte ich mein Glück und siehe da, sie servierten mir sogar ein veganes Sandwich. Dazu gab es einen Cappuccino mit Hafermilch und einen frischen Wassermelonen-Saft. Letzterer war sogar so lecker, dass ich mir noch einen zweiten bestellte.

Nach der wohlverdienten Erfrischung war meine nächste Station das Dar El Annabi, ein kleines Heimatmuseum. Hinter der weiß-blauen Fassade konnte man hier das alte traditionelle Anwesen einer reichen tunesischen Familie erkunden. Auch wenn Sidi Bou Saïd im Vergleich zu Karthago recht touristisch war, so war das privat geführte Museum in keinster Weise aufdringlich. Am Eingang bekam ich eine englischsprachige Beschreibung der Ausstellung in die Hand gedrückt und konnte dann alles auf eigene Faust und in meinem Tempo erkunden, was sehr angenehm war. Neben der Einrichtung gab es auch ein paar mit Schaufensterpuppen nachgestellte Szenen, wie z.B. die Vorbereitung einer Braut auf ihre Hochzeit. Im überdachten Bereich des Innenhofs gab es auch den, für islamische Länder typischen, Tee, sodass ich hier erneut eine kleine Auszeit zum Verweilen einlegte. Schließlich ging es noch hoch auf die Dachterrasse von wo aus man einen tollen Ausblick hatte. Alles in allem hat sich der Besuch in dem Museum echt gelohnt.

Ich streifte noch eine Weile durch die Weiß-Blauen Gassen und genoss die Atmosphäre bevor ich wieder zum Bahnhof zurück kehrte. Diesmal fuhr ich ganz normal in der zweiten Klasse zurück. Mir fiel dabei eine Gruppe Jugendlicher auf, die sich während der Fahrt aus der Tür hingen ließen, was wirklich gefährlich war. Gegenüber von mir saß ein Mann mit seinem kleinen Sohn, der den Kopf schüttelte. “Die sind doch lebensmüde”, sagte er, als er sah wie ich das Geschehen erschrocken beobachtete.

Eine kulinarische Erkundungstour

Da ich die Hauptattraktionen mittlerweile erkundet hatte, plante ich meinen letzten Tag etwas abseits der ausgetretenen Pfade zu bestreiten. Über eine App, die mir vegane Essensoptionen in der Umgebung anzeigt, habe ich eine interessante Frühstücksoption gefunden: Einen Essensstand, an dem es zu Frühstück Sorghum-Brei mit verschiedenen Toppings gab. Sorghum ist eine spezielle Hirsesorte. Die Körner werden die ganze Nacht lang gekocht, sodass am Morgen der Brei entsteht. Der Stand war knapp 40min Fußweg von meiner Unterkunft entfernt, sodass ich den Weg dahin als Morgenspaziergang nutzte.

Die Stadt war schon längst erwacht. Überall waren Menschen, Autos und Straßenbahnen. Ich saugte den Trubel auf und ließ sämtliche Eindrücke beim Vorbeigehen auf mich einwirken. Schließlich fand ich den Stand in der Nähe eines Verkehrsknotens mit einer zentralen Straßenbahnhaltestelle. Pendler*innen eilten von A nach B und jede Menge Essensstände hatten sich strategisch klug in der Nähe positioniert. Dank Fotos in den Bewertungen in der App fand ich den Essensstand recht schnell. Der junge Verkäufer wirkte kurz etwas verwirrt, als plötzlich eine Europäerin vor ihm auftauchte. Zum Glück sprach er ein paar Brocken Englisch und so bekam ich für ein paar Dinar eine Schüssel Brei mit verschiedenen Sorten Nüssen. Es handelte sich dabei um ein sehr simples aber dennoch nährreiches und schmackhaftes Gericht. Dabei zog ich einige Blicke auf mich. Immer wieder kamen neue Kunden, alles ältere tunesische Herren, mit ihrer Schüssel Brei zum provisorischen kleinen Essensbereich hinter der Theke und staunten nicht schlecht mich dort zu sehen. Auch wenn ich die verwunderten Blicke merkte, so traute sich dennoch niemand was zu sagen und so aßen wir alle still und leise unsere Schüsseln leer. Beim Verlassen stellte ich meine Schüssel zurück und gab dem Verkäufer mit einem Daumen hoch zu verstehen, dass es mir sehr geschmeckt hat. Er lächelte und winkte mir beim Verlassen hinterher.

Auf dem Rückweg ließ ich mich noch in einem etwas größeren Café nieder. Ich ging zur Theke und bestellte einen schwarzen Kaffee. Zunächst auf Englisch, was mir einige fragende Blicke einbrachte. Na gut, dann eben auf arabisch: قهوة ساده من فضلك Immer noch fragende Blicke. Ist das Arabisch hier wirklich so anders? Ich versuchte es nochmal ein bisschen anders: قهوة أسود “Americano?”, fragte der Kellner. Na gut, dann eben so. Ich nickte und der zweite Kellner neben mir gab mir ein Zeichen mich eine Etage höher hinzusetzen. Ich staunte nicht schlecht, als er kurz darauf hoch kam und mir einen Cappuccino brachte. Noch eher ich was sagen konnte, war er wieder weg. Bei nächster Gelegenheit erklärte ich ihm ganz langsam auf Englisch und auf Arabisch, dass schwarzer Kaffee ohne Milch ist. Daraufhin bekam ich immerhin einen Espresso. Na gut, besser als gar nichts. Ich trank aus, bezahlte und ging wieder.

Die Temperaturen stiegen wieder gnadenlos und so wagte ich das Abenteuer mit der Straßenbahn zurück zu fahren. Im Nachhinein war das wohl nicht die beste Entscheidung. Die Bahnen sind nicht beschriftet und die Gleise ebenso wenig. Wenn man nicht weiß welche Bahn man nehmen muss, so muss man sich eben durchfragen, was mangels Französischkenntnissen meinerseits und Englischkenntnissen auf der anderen Seite (Arabisch ließ ich dank meiner Erfahrungen aus dem Café diesmal direkt bleiben) gar nicht so leicht war. Schließlich stand ich an einem Gleis von dem ich vermutete, dass es das richtige sei. Hier standen mittlerweile jede Menge Leute. Na dann kann es ja nicht mehr so lange dauern, bis die Bahn kommt. Von wegen! An allen anderen Gleisen kamen Bahnen, nur an meinem Gleis nicht. Nach einer guten halben Stunde, kam endlich eine Straßenbahn. Zur Sicherheit fragte ich einen Mann, ob dies die richtige Bahn sei (Er sprach zwar kein Englisch, aber Google Translate zum Dank konnte man sich verständigen). Er schüttelte mit dem Kopf und machte mir klar, dass meine Bahn noch kommen würde. Er fragte mich etwas verwundert, warum ich überhaupt die Bahn nehmen würde und nicht einfach ein Taxi. Der öffentliche Nahverkehr in Tunis sei fürchterlich. Ich tippte “Abenteuer” in mein Handy, drückte auf Übersetzen und grinste ihn an. Er fing an zu lachen und so trennten sich wieder unsere Wege.

Noch immer stand ich am Gleis und noch immer fuhren auf allen Gleisen Bahnen ein außer auf meinem. Nach einer guten Stunde Wartezeit kam endlich die erlösende Straßenbahn. Für einen kurzen Moment verspürte ich Erleichterung, doch sie hielt nicht lange an. Zusammen mit mir drängten sich viel zu viele Menschen in diese Bahn. Drinnen war es gefühlt noch einmal doppelt so heiß wie draußen, aber an Atmen war sowieso nicht zu denken, weil die Enge einem die Luft wegdrückte. Die Türen schlossen sich und ich spürte wie mir schummrig wurde. Bei der nächsten Station sprang ich direkt raus und holte tief Luft. Nach dem nicht existierenden Bus am Tag meiner Ankunft und nach dieser Erfahrung machte ich schließlich meinen Haken unter das Experiment öffentlicher Nahverkehr in Tunis.

Komplett fertig ging ich den restlichen Weg zur Unterkunft zu Fuß, wo eine wirklich süße Überraschung auf mich wartete. Da ich heute so früh losgezogen bin, haben Ahmed und ich uns verpasst. Er hatte mir daraufhin zwei Teller in der Küche da gelassen. Auf dem einen waren Kekse und auf dem anderen selbst eingelegte Oliven. Daneben hatte er auf einen Zettel geschrieben “For you if you like it.” (Für Dich, wenn Du magst). Auch wenn die Kekse wahrscheinlich nicht vegan waren, fand ich die Geste so lieb, dass ich alles aufaß.

Ich ruhte mich noch ein bisschen aus, bevor ich meine Sachen nahm und ein weiteres Mal loszog. Ich wollte noch ein letzte Mal nach einem Weg in die große Moschee suchen. Leider blieb der Erfolg aus. Ich unterhielt mich vor der Moschee noch mit einer anderen Touristin, die seit mehreren Monaten als Frau alleine Nordafrika bereiste und wir tauschten uns kurz über unsere Erfahrungen aus. Auch sie hatte keine Klimaanlage in ihrem Zimmer und ich war erleichtert zu hören, dass sie genau so darunter litt, wie ich. Auf dem Weg zurück erfrischte ich mich mit ein paar frischen Kaktusfeigen von einem kleinen mobilen Stand am Bab al-Bhar. Ich bekam aber auch langsam wieder Hunger, welcher auf diese Weise nicht gestillt werden konnte.

In der gleichen App, in der ich auch schon den Stand mit dem Sorghum-Brei entdeckt hatte, waren auch zwei interessante Restaurants, ein vegetarisches und ein veganes, eingezeichnet. Sie befanden sich allerdings in der Nähe vom Flughafen. Diesmal wollte ich direkt ein Taxi nehmen, vom öffentlichen Nahverkehr hatte ich die Nase gestrichen voll. Ich stellte mich an eine zentrale Kreuzung in der Nähe des Glockenturms, wo bereits einige Leute warteten, und versuchte mir von dort aus ein Taxi zu rufen. Eigentlich gibt es ein recht gutes System, um Betrug durch Taxifahrer entgegenzuwirken: Wenn das Taxometer eingeschaltet war, so leuchtete vorne entweder ein rotes oder grünes Licht. Dabei ist gut gemeint, nicht immer gut gemacht, denn rot bedeutet, dass das Taxi frei ist und grün steht für besetzt. Es dauerte eine halbe Ewigkeit bis das erste Taxi mit einer roten Lampe vor mir hielt (bei anderen Taxen waren die anderen Leute am Straßenrand zum Teil schneller). Als der Taxifahrer mich Europäerin sah, schaltete er das Taxometer schnell aus und rief mir einen fiel zu hohen Preis entgegen. Ich erklärte ihm, dass ich ihn laut Taxometer bezahlen würde, doch er weigerte sich und fuhr wieder weg. Dies passierte mir noch 2-3 weitere Male und so langsam verlor ich die Geduld. Ich stand hier erneut bereits seit einer Stunde (bei 45°C!) und ich hatte Hunger. War es so schwer hier einen ehrlichen Taxifahrer zu finden? Ich ging zu Plan B über und verließ die Kreuzung. An einer weniger stark befahreneren Straßenseite hatte ich Glück: Ein Taxifahrer stieg gerade in seinen Wagen. Ich passte ihn ab und er war damit einverstanden mich nach Taxometer zu fahren. Na endlich! Aus Dank für seine Ehrlichkeit drückte ich ihm bei der Ankunft noch zusätzlich etwas Trinkgeld in die Hand, bevor ich ausstieg und mich fragte wo zur Hölle ich hier eigentlich gelandet bin.

Ja, ich war hier richtig, aber dass es hier so aussah hätte ich nicht gedacht. Ich befand mich in Lac 1, welches größtenteils aus großen Betonbauten bestand. Hier gab es Büros zahlreicher Unternehmen, darunter zum Beispiel Microsoft, mehrere Botschaften und eine Reiher cooler Restaurants. Was jedoch auffiel: Das Ganze wirkte wie ausgestorben. Man sah hin und wieder jemanden eine leere Terrasse eines Restaurants fegen und mehr nicht. Hier gab es zwei Restaurants, die ich ausprobieren wollte. Ich entschied mich eines davon für die Hauptspeise aufzusuchen und das andere für ein Dessert. Das erste Lokal war das “Oh.Em.Gee!”. Die Besucherterrasse war komplett leer (aber wer hat auch Lust bei den Temperaturen draußen zu sitzen). Innen drin war jedoch bereits Kundschaft, wenn auch eher wenig. Ein Kellner mit wilden Rastazöpfen begrüßte mich und nahm meine Bestellung auf: Einen Smoothie und Brot mit veganem Pesto, Falafel und Hummus. Nachdem er mir mein Mittagessen serviert hatte, setzte er sich an einen Tisch wo bereits zwei andere Männer auf ihn warteten. Offenbar befanden sie sich gerade in einer sehr intensiven Partie Schach. Das Essen war lecker und die Preise angemessen. Nachdem ich aufgegessen hatte, blieb ich noch kurz etwas sitzen bevor ich bezahlte und weiter zog. Mein nächstes Ziel war das “Inward”, ein komplett veganes Restaurant (womöglich sogar das Einzige in ganz Tunesien).

Beim Betreten schien es wieder fast so als sei das Lokal eigentlich geschlossen. Es waren keine Gäste da und eine junge Frau mit einer Haube auf dem Kopf saß an einem der Küche. Vorsichtig drückte ich gegen die Tür, die nachgab und auf ging. Ich steckte meinen Kopf durch und fragte ob geöffnet sei. Die junge Frau sprang sofort auf und bejahte meine Frage. Ich könne mir einen Platz aussuchen. Zuerst ging ich hoch auf eine Art empore. Dort waren coole Plätze mit einem Blick über das sehr kleine Restaurant, aber da ich da doch etwas abseits wäre, kam ich wieder runter und suchte mir einen Fensterplatz raus. Die Dame zeigte mir die Karte und fragte mich, ob ich schon die Philosophie dieses Restaurants kenne. Ich verneinte und deutete an es mir gerne erklären zu lassen. Sie lächelte und fing an zu erklären, dass zunächst einmal sämtliche Produkte vegan und ohne Zusatz von raffiniertem Zucker seien. Veganismus ist in Tunesien noch weitestgehend unbekannt, aber erste größere Supermärkte sind dabei pflanzliche Milchalternativen in ihr Sortiment aufzunehmen. Zusätzlich ist alles was hier angeboten wird roh. Viele Produkte sind fermentiert oder im Dörrautomaten getrocknet. Dadurch bleiben besonders viele Nährstoffe enthalten, die beim Erhitzen kaputt gehen würden.

Die Besitzerin stellte sich als Fatma vor. Sie war zum Studium in den USA und ist nun wieder zurück in Tunesien. Das Restaurant ist ein kleiner Lebenstraum von ihr. Sie hat es Inward genannt, weil sie der Überzeugung ist, dass wahre Veränderung aus dem Inneren kommt. Ihre Kundschaft besteht zum Teil aus Touris, die in Tunis vegan essen wollen und aufgrund der Nähe zum Flughafen zum Teil sogar mit Koffern herkommen. Der andere Teil ihrer Kundschaft sind Büroangestellte aus den umliegenden Unternehmen, die einfach nur ein gutes Essen in der Mittagspause haben wollen. Letztere sind in der Regel nicht vegan, aber Fatma sieht es (zu Recht) bereits als Fortschritt an, dass sie sich dennoch für ein veganes Mittagessen entscheiden.
Nach der Rede beschloss ich mir von Fatma ein Dessert empfehlen zu lassen. Die Wahl fiel auf einen gefrosteten Spirulina-Kuchen. Dazu nahm ich mir noch ein Getränk basierend auf pflanzlicher Milch, Datteln und ein paar Gewürzen. Fatma verschwand in der Küche und kam nach einiger Zeit mit meiner Bestellung zurück. Was soll ich sagen? Es war wirklich sehr lecker! Sie hat noch ein paar Blüten drüber gestreut, sodass es auch noch super aussah. Während ich mich meines Nachtisches erfreute, unterhielten wir uns noch weiter. Ich erzählte ihr wie ich zum Veganismus gekommen bin und wie weit verbreitet das mittlerweile schon in Deutschland ist. Außerdem unterhielten wir uns über Tunesien im allgemeinen. Von der mangelnden Klimaanlage über das menschenleere Karthago bis hin zu meinen weiteren Plänen. Mit dem Handy zeigte sie mir von wo aus ich die Louage, ein tunesisches Sammeltaxi ähnlich einem Colectivo in Südamerika, nehmen konnte. Ich fragte sie auch wohin ich nach der Konferenz noch hin könnte, da ich ja noch ein bisschen Zeit zum Erkunden hätte. Hammamet sei sehr schön, wenn man Strände möge. Na gut, mit Stränden allein überzeugt man mich nicht. Was sei denn mit Kairouan? “Oh!” sagte sie, “in Kairouan findest Du bestimmt kein veganes Essen. Und es ist momentan viel zu heiß dort!” Ich dachte wieder an meine fehlende Klimaanlage und an die 45°C draußen. Zum Glück blieb mir ja noch etwas Zeit für die Entscheidung wohin es gehen sollte.

Wir unterhielten uns noch weiter bis zum Ladenschluss. Ein bisschen graute es mir davor hier mitten im Nirgendwo ein Taxi zurück zu kriegen nachdem es vorhin schon mitten in der Innenstadt so anstrengend war. Also fragte ich Fatma, wie ich am besten zurück komme und sie erklärte mir, dass ich mir ein Bolt rufen könne. Neben Uber und Careem war das wohl eine weitere App zur Personenbeförderung und im Gegensatz zu dem beiden zuerst genannten Apps, schien Bolt hier zu funktionieren. Anscheinend funktioniert lediglich Barzahlung, aber es sei nicht so schlimm wie in Ägypten, wo einen die Fahrer selbst da noch versuchten abzuzocken. Fatma sollte Recht behalten. Ich rief mir einen Bolt und dieser brachte mich problemlos zu meiner Unterkunft.

Den restlichen Abend verbrachte ich damit zu packen und ein wenig zu entspannen. Es verging eine letzte viel zu warme Nacht ohne Klimaanlage. Am nächsten Morgen kam Ahmed, um sich zu verabschieden. Ich bedankte mich für seine Gastfreundschaft und wir schossen noch ein gemeinsames Abschiedsfoto bevor die Reise für mich weiter ging. Tunis hat mich in vielerlei Hinsicht überrascht. Es ist absolut kein Problem sich hier allein als Frau zu bewegen. Die Menschen waren alle hilfsbereit und freundlich und Tunesien ist auch durchaus moderner und westlicher als z.B. Ägypten. Teilweise war ich die am konservativsten gekleidete Frau. Dabei hatte ich das Gleich an wie in Ägypten, wo es genau anders rum war. Nur die Sache mit der Klimaanlage machte mich etwas fertig, aber das sollte sich ja zum Glück an meinem nächsten Ziel ändern.

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