Reisen

Tunesien (2023)

Sousse

Wie eingangs erwähnt, war ich eigentlich dienstlich in Tunesien. Anders wäre ich hier wahrscheinlich nicht so schnell hergekommen und schon gar nicht nach Sousse. Das ist einer dieser Orte mit weiten Stränden und großen All-Inclusive Anlagen, die ich versuche so gut es geht zu vermeiden. Karriere-technisch war die Konferenz für mich aber ein großer und wichtiger Schritt. Die hier vorgestellte Arbeit war das erste von insgesamt drei Papern, die ich veröffentlichen muss bevor ich meine Dissertation schreiben darf. Und so blickte ich trotz allem voller Vorfreude auf die nächsten Tage. Die Aussicht auf eine Klimaanlage trug natürlich auch dazu bei 😉

Mit der Louage nach Sousse

Wenige Minuten Fußweg von meiner Unterkunft in Tunis befand sich die Louage Station. Louages sind Sammeltaxis, ähnlich der Colectivos in Südamerika. Sie haben bestimmte Sammelpunkte, von wo aus sie losfahren. Einen Fahrplan gibt es dabei nicht, wenn der Wagen voll ist, fährt der Fahrer los. Vorbei an der Tunis Marina Station, von wo aus ich vor ein paar Tagen noch nach Karthago aufgebrochen bin, führte mich mein Weg in eine Art Industriegebiet. Hier gab es zahlreiche KFZ-Werkstätte und Läden mit allen möglichen Elektrogeräten und Ersatzteilen. Irgendwann blieb ich stehen und schaute mich um: Hierhin führte mich die Markierung auf meiner Karte, doch wo war jetzt diese Louage Station? Ein Mann, ca. Ende 40 mit einem breiten Sonnenhut, kam auf mich zu. Er sprach französisch, als er jedoch merkte, das diese Sprache uns nicht weiterhelfen würde, kramte er tatsächlich ein paar Bröckchen Englisch hervor. Er sah aus wie ich mir einen der Fahrer vorstellte und so fragte ich, wo die Louage Station sei. Wo ich denn hinwolle, fragte er. Sousse. Er deutet mir an ihm zu folgen. Wir schritten durch ein Tor in eine Einfahrt und über einen Parkplatz und plötzlich befanden wir uns tatsächlich in einer großen Halle voller Minibusse.

Hier herrschte reges Treiben. Da fuhren Louages los, hier wurde noch Gepäck verladen. Fahrer, die gerade nichts zu tun hatten, standen in Grüppchen, rauchten und unterhielten sich. Der Mann führte mich zu einem Schalter. Zum Glück verstand ich das geschriebene Arabisch hier deutlich besser als das gesprochene. An dem Häuschen waren verschiedene Städte aufgelistet und dahinter die Preise. So etwas habe ich noch nie gesehen: Ein regulierter Markt für Sammeltaxen! Als ich an der Reihe war, wurde mir tatsächlich der aufgeführte Preis berechnet und keinen Dinar mehr. Normalerweise bin ich es gewohnt bei so etwas zu verhandeln, weil ich als naive Blondine natürlich wie gefundenes Fressen wirke, um den doppelten oder dreifachen Preis berechnen zu können. Im Gegenzug von umgerechnet nur ein paar wenige Euros, bekam ich einen Zettel in die Hand gedrückt. Mein Begleiter mit dem Sonnenhut wartete bereits auf mich. Na zumindest der wird doch sicherlich gleich ein paar Dinar für seine Hilfe wollen. Ich hielt schonmal ein paar Münzen bereit. Er guckte auf meinen Zettel, um sich nochmal zu vergewissern, dass das Sousse stand und führte mich dann weiter in die Halle hinein. Zu meiner Überraschung wollte er aber kein Geld von mir. Stattdessen drehte er sich zu mir und fragte mich in gebrochenem Englisch nach meiner Handynummer. Jetzt verstand ich. Ich hielt meine rechte Hand hoch und zeigte auf meinen Ehering. Zu meiner Überraschung wurde der Mann plötzlich absolut kleinlaut. Das war ihm sichtlich unangenehm, dass er gerade versucht hatte mit einer verheirateten Frau zu flirten. Er führte mich schnell zu einem der Minibusse und machte sich im nächsten Moment sofort aus dem Staub.

Der Fahrer riss das Untere Stück meiner Quittung ab. Fragte noch einmal “Sousse?”, was ich bejahte und deutete mir dann an einzusteigen. Auf dem Rücksitz saßen bereits zwei Jungs um die 18 Jahre alt. Zu meiner Verwunderung lernten sie gerade gemeinsam Deutsch. Grinsend drehte ich mich um und begrüßte sie mit einem “Guten Tag”. Mit großen Augen blickten die Beiden mich an. Im nächsten Moment schwenkte die Verwunderung um in Begeisterung und sie testeten direkt ihre Deutschkenntnisse an mir aus und durchlöcherten mich mit Fragen: Wo genau aus Deutschland ich herkomme, wie mir Tunesien gefalle, was ich hier mache und wie lange ich hier bin. Im Gegenzug stellte ich ihnen auch ein paar Fragen. So erfuhr ich, dass die Beiden gerade mit der Schule fertig geworden sind und nun in Sousse ein bisschen Urlaub machen wollten. Sie lernten Deutsch, weil sie in Deutschland studieren wollten. Bei der Frage, was sie denn studieren wollten, kam direkt die nächste Überraschung: Informatik.
Während wir uns unterhielten, füllte sich der Minibus. Neben mich setzten sich zwei weitere Männer und vorne stieg noch eine Frau ein, dann ging die knapp zweistündige Fahrt los und eh ich mich versah, war ich auch schon in Sousse.

Willkommen in der All-Inclusive Hölle

Das Konferenzhotel befand sich, wie alle All-Inclusive Bunker, nicht in der Innenstadt von Sousse, sondern in Port el Kantaoui, ca. 20min Autofahrt nördlich. Ich organisierte mir wieder einen Bolt, der etwas verwundert über die Adresse war und es sei ihm nicht verübelt. Ich war nach der Fahrt mal wieder komplett durchgeschwitzt, mein Sonnenhut ließ mich eher wie eine Abenteurerin wirken und zugegeben musste meine Kleidung echt mal gewaschen werden. Und ausgerechnet mich sollte er in ein 5-Sterne Hotel bringen?

Vor den Toren des Hotels angekommen fing das Wachpersonal unser Fahrzeug ab. Auch sie wollten zunächst nicht ganz glauben, dass wir hier richtig seien und erst als ich ihnen meinen deutschen Reisepass in Kombination mit der Reservierung zeigte und sie den Kofferraum und die Unterseite des Fahrzeugs inspiziert hatten, ließen sie uns passieren. Wer reist hier denn bitteschön auch in einem lokalen Bolt an und nicht in einem Reisebus oder einem Shuttle-Service? Ich drückte dem Fahrer für die Extra-Kontrollen ein zusätzliches Trinkgeld in die Hand und verabschiedete mich bevor ich für die nächsten Tage in eine komplett andere Welt eintauchen sollte.

Sofort wurde mir mein Gepäck abgenommen und durch den obligatorischen Scanner geschoben. Ich selbst passierte ebenfalls einen Metalldetektor. Auf der anderen Seite bekam ich mein Gepäck jedoch nicht einfach zurück, sondern ein Page nahm es sich und erklärte mir, dass er es mir auf mein Zimmer bringen würde. Na gut, so läuft das halt. Dafür würde ich ihm natürlich nachher ein paar Dinar Trinkgeld in die Hand drücken müssen. Ohne Gepäck ging ich also zur Rezeption. Ein ordentlich aussehender tunesischer Mann, ca. Mitte 40, begrüßte mich. Ich zeigte ihm meine Reservierung und er gab mir ein Formular, welches ich ausfüllen musste. Als ich es ihm ausgefüllt zurück brachte, nahm er einen der vielen Zimmerschlüssel, nur um ihn im letzten Moment wieder zurück zu nehmen. Nein, ich kriege ein anderes Zimmer, erklärte er mir. Mein Zimmer sei aber noch nicht fertig, weswegen ich noch kurz in der Lobby Platz nehmen sollte.

Nachdem ich mich, noch immer schmutzig und verschwitzt, auf eine der Couches setzte, hatte ich nun zum ersten Mal die Gelegenheit mich umzuschauen. Die Lobby war riesig und wirklich luxuriös eingerichtet. Es gab zwei Bars, an denen man sich Getränke und zum Teil auch kleine Snacks, wie z.B. Törtchen, holen konnte. Hinten war eine enorme Glastür durch die man den Pool-Bereich sehen konnte. Zwei Animateure leiteten gerade die Wassergymnastik an und der Pool sowie alle Liegen drumherum, von denen es nicht wenig gab, waren brechend voll. Neben der Glastür hing ein Monitor auf dem zu sehen war, welche Beschäftigung wann war. Der Spaß und die Erholung waren hier ganz klar durchgetaktet. Der erste Programmpunkt, der einfach nur Gym hieß, startete um 10:00 Uhr und der letzte “Show Time” um 21:30 Uhr. Daneben gab es unter anderem die gerade stattfindende Wassergymnastik, Darts, Tischtennis, Tanzunterricht, Mini Disco und vieles mehr. Kein Wunder, dass Karthago leer war. Zwischen all dem Aktivitäten bleibt keine Zeit das Hotel zu verlassen und sich das Land anzuschauen, welches man gerade ausbeutet. Ja, ich habe eine sehr schlechte Meinung von All-Inclusive Tourismus und alles hier aufzuführen würde sicherlich den Rahmen dieses Beitrags sprengen.

Mein Blick fiel auf die anderen Gäste. Es gab insgesamt drei Kategorien. Da gab es zum einen die tunesischen Familien. Es stand gerade ein langes Wochenende an und viele Familien nutzten dies für eine Auszeit. Ihnen gegenüber hegte ich keinen Groll. Als nächstes gab es die Generation Boomer+. Ich kann mir bildlich vorstellen, wie sie zurück in der Heimat Freunde und Familie mit irgendwelchen langweiligen Pool- und Buffet-Fotos nervten während sie erzählten, wie arm das Land doch sei und dass man sich vor den Leuten außerhalb des Hotels doch bitte in Acht nehmen solle. Als letztes gab es noch Frauen ungefähr in meinem Alter mit aufgespritzten Lippen, wasserfester Schminke und viel zu langen Fingernägeln, die neben ihren Bodybuilder-Boyfriends mit mehr Muskeln als Gehirn in viel zu engen “sexy” Beach-Outfits herumstolzierten und ständig neue Selfies machten. Im Hintergrund dröhnte immer noch die Musik der Wassergymnastik.

Ein Mitarbeiter riss mich aus meinen Gedanken indem er mir mitteilte, dass mein Zimmer nun endlich fertig war. Ich begab mich zurück zu Rezeption und erhielt den Schlüssel. Mein Koffer stand derweil in der Ecke. “Keine Sorge, der wird gleich hoch gebracht”, versicherte mir der Mann hinter dem Schalter. Na gut, dann also los zum Zimmer. Ich nahm ausnahmsweise den Aufzug hoch und lief dann durch endlos lange mit Teppich ausgelegte und komplett gleich aussehende Korridore, bis ich endlich vor der Tür mit der richtigen Nummer stand.

Mein Zimmer war riesig. Ich hatte ein eigenes Doppelbett, ein Bad und einen Balkon. Gegenüber vom Bett hing ein Fernseher und daneben befand sich ein raumhoher Spiegel. Das Wichtigste für mich war jedoch die Klimaanlage, die aus der Wand angenehm kühle Luft blies. Sie war genau richtig eingestellt und ich ließ mich aufs Bett fallen um die angenehme Raumtemperatur zu genießen. Ich konnte es kaum erwarten unter die Dusche zu springen und nicht genau so verschwitzt aus dem Bad herauszukommen wie ich rein gekommen bin. Außerdem wollte ich endlich meine Wäsche waschen, denn die ließ sich super auf dem Balkon aufhängen. Eine Sache fehlte mir jedoch für all das: Mein Koffer! Ich wartete und wartete, aber nichts passierte. Irgendwann wurde es mir dann zu bunt und ich ging, noch immer schmutzig aber zumindest nicht mehr ganz so verschwitzt, runter zur Rezeption, nur um zu sehen, dass mein Koffer noch immer in der Ecke lag. Von dem Pagen fehlte jede Spur. Na gut, dann gibt’s eben kein Trinkgeld.

Ich schnappte mir meinen Koffer, ohne dass es irgendwem auffiel und brachte ihn auf mein Zimmer. Kurze Zeit später, geduscht und mit frischer Kleidung, fühlte ich mich wie neu geboren. Ich entspannte noch kurz auf meinem Zimmer bevor ich wieder runter ging zur Rezeption. Eine Sache fehlte noch in dieser Hölle: Mein All-Inclusive Bändchen. Die Bändchen waren gerade ausgegangen, als ich meinen Schlüssel erhalten hatte und ich wurde gebeten später wieder zu kommen. Nun legte man mir ein lila Plastikarmband an, welches bedeutete, dass ich All-Inclusive ohne Alkohol hatte. Das war mir nur Recht, denn ich trinke ja sowieso keinen Alkohol. Stattdessen begab ich mich zu einer der Bars in der Lobby und holte mir einen schwarzen Kaffee.

Nicht mehr lange bis die Registrierung für die AfricaCrypt anfangen sollte. Die Zeit nutzte ich um nach Hause zu telefonieren und allen mitzuteilen, dass ich gut angekommen bin. Nach der Anmeldung begann kurz darauf auch schon das Abendessen. Ich hatte zuletzt ein paar Cracker und ein paar von Ahmeds Oliven zum Frühstück gegessen und war entsprechend hungrig, sodass ich direkt zum Start des Buffets da war. Ich bezweifle, dass die anderen Leute, die hier standen, auch so ausgehungert waren, aber sie benahmen sich als kämen sie direkt aus einer Hungersnot. Sobald die Türen sich öffneten rannten sie los und packten sich alles Mögliche auf die Teller. Eine Gruppe junger Leute, die eine osteuropäische Sprache sprachen, die ich aber nicht weiter zuordnen konnte, brüllten sich dabei gegenseitig zu, was es so alles gab. Als einer von ihnen das Sushi erblickte gab es kein Halt mehr: “Sushi!”, brüllte er und seine Freunde rannten zu ihm und hauten sich ein Sushi-Röllchen nach dem Anderen auf ihre überfüllten Teller. Die anderen Gäste hatten auch nicht mehr Manieren mitgebracht und so wurde das Buffet geplündert als stünde ein Atomkrieg vor uns.

Ich tat mir ein paar Nudeln, gedünstetes Gemüse, Kartoffeln und Bohnensalat auf meinen Teller und begnügte mich zum Nachtisch mit ein paar Melonenstücken, während um mich herum weiter das Chaos herrschte. Natürlich schafften die Meisten noch nicht einmal ihre erste Portion, sodass jede Menge Teller voll mit Essen am Platz blieben, als die Leute vollgefressen aufstanden und gingen. Kellner räumten zügig die Tische ab und entsorgten das Essen, damit wieder Platz war für die nächsten Gäste. Was für eine Verschwendung! Und zugegeben schmeckte das Essen noch nicht einmal sonderlich gut, aber zumindest war ich satt, als ich wieder auf mein Zimmer ging und mich kurz darauf schlafen legte.

Das mit dem Schlaf war allerdings so eine Sache, denn ich habe die Rechnung ohne die versprochenen Partys und Discos gemacht. Während von meinem Hotel aus die Auswüchse der “Show Time” zu hören waren (was auch immer das sein sollte, es beinhaltete laute Musik), leuchtete aus dem Nachbarhotel mit regelmäßigen Abständen die Lichtshow durch die Rillen meiner Vorhänge, gepaart mit noch mehr laut aufgedrehter Musik. Ich schob die Vorhänge enger zu, hielt mir mit dem Kissen die Ohren zu und schaffte es irgendwann wie durch ein Wunder einzuschlafen.

Auf in die Altstadt

Am nächsten Morgen begann die Konferenz. Es passt nicht wirklich hier rein nun über die Vorträge zu referieren, daher klammere ich diesen Teil aus und konzentriere mich voll und ganz auf die Geschehnisse abseits des Fachlichen.

Ich begrüßte den Tag mit ein paar Bahnen im Pool, von wo aus ich das allmorgendliche Reservieren der Liegen mit Handtüchern beobachten konnte. Nach dem Frühstück, bei dem sich die anderen Gäst*innen auch nicht sonderlich zivilisierter verhielten als beim gestrigen Abendessen, verbrachte ich die darauf folgende Zeit auf der Konferenz, wo ich Razvan und Sabrina aus Bordeaux und Joel aus Stockholm kennenlernte.

Nach getaner Arbeit beschlossen wir uns gemeinsam ein Bolt zu teilen und die Altstadt von Sousse zu erkunden. Als wir schließlich ausstiegen, fühlte ich mich endlich wieder in meinem Element. Händler liefen herum, hinten begannen die engen Gassen des Souqs und von weitem hörte man den Mouezzin zum Gebet rufen. Obwohl es schon recht spät war, erlaubte man uns noch den Ribat, eine Art islamische Festung, zu besuchen und sogar den Turm zu erklimmen. Aus der Moschee schmiss man uns leider direkt wieder raus. Im Anschluss gingen wir noch gemeinsam essen und Dank Razvans Französischkenntnissen (er kommt eigentlich aus Rumänien, aber wohnt schon seit vielen Jahren in Frankreich und ist mit einer Französin verheiratet) konnten wir dem Kellner sogar das Konzept von veganem Essen bekommen, was dieser kopfschüttelnd hinnahm und mir dann Nudeln mit Oliven und eine feurig scharfen Soße mit vielen Chilischoten brachte. Na zum Glück vertrage ich scharfes Essen 😉

El Jem

Am zweiten Tag stand seitens der AfricaCrypt am Nachmittag eine Exkursion an. Ich freute mich enorm als ich hörte wohin es ging, da es einer der Orte war, die ich ohnehin noch besuchen wollte: El Jem. Dort befinden sich die Ruinen des drittgrößten römischen Amphitheaters, gleich nach dem Kolosseum in Rom und dem Amphitheater von Capua. Mehrere Reisebusse brachten uns innerhalb von etwas mehr als einer Stunde nach El Jem. Dass wir endlich da waren, erkannten wir an großen aufgestellten Buchstaben “I ♥ El Jem” hinter denen man schon das Amphitheater sehen konnte. Wir wurden in mehrere Gruppen aufgeteilt. Der Guide meiner Gruppe war ein hochgewachsener älterer Herr mit weißen Haarstoppeln auf dem Kopf. Er war tatsächlich sehr kompetent in dem, was er machte indem er zahlreiche Informationen in kurzer Zeit vermitteln konnte, ohne dass es uns überwältigte oder er uns einfach nur die ganze Zeit Jahreszahlen an den Kopf schmiss. Dank ihm erwachte das Amphitheater förmlich zum Leben. Auch an diesem Ort fiel mir aber eine Sache auf: Außer uns war hier absolut niemand. Das sind fast 2000 Jahre Menschheitsgeschichte und niemanden interessiert es?! Zum einen war es natürlich super cool das Amphitheater für uns zu haben. Unser Guide führte uns über die Ränge und auch durch die Katakomben hindurch, wo man noch sehen konnte, wo die Löwen angekettet wurden. Zum anderen kann ich mal wieder nur den Kopf schütteln, wenn ich an die vielen Tourist*innen im All Inclusive Hotel denke, die den ganzen Tag nur am Pool oder am Strand liegen und sich von Animateur*innen bespaßen lassen, ohne sich jemals mit diesem Land und seiner Kultur zu befassen.

Nach dem Besuch im Amphitheater ging es noch ins das Museum von El Jem. Das Museum war eher klein, aber es gab jede Menge eindrucksvolle und erstaunlich gut erhaltene Mosaike zu bestaunen. Auch hier war wieder unser Guide mit dabei, der uns jede Menge Details erklärte, wie zum Beispiel Referenzen zu Personen und Geschichten aus der römischen Mythologie oder aber auch die Repräsentation der vier Jahreszeiten. Natürlich waren wir auch hier wieder die einzigen Besucher*innen.

Schließlich ging es noch zu einem großen gemeinsamen Abendessen nach Monastir. So ein Gala Dinner gehört zu jeder Konferenz dazu. Die Organisatorinnen (ja, das waren tatsächlich alles Frauen, die das organisiert haben), hatten in einem Restaurant mitten in Monastir reserviert. Das Personal war etwas verwundert über meine vegane Ernährung (als im Vorfeld nach besonderen Ernährungsweisen gefragt wurde und ich mich tatsächlich als Einzige mit vegan gemeldet hatte, kam danach eine der Organisatorinnen zu mir und hat sich nochmal erklären lassen was das überhaupt sei), aber sie schafften es dennoch sämtliche Gerichte zu veganisieren (manchmal aber auch nur durch weglassen von Komponenten). Lediglich die süßen Teilchen zum Dessert waren nicht vegan, aber da ich eh nicht wirklich Süßes esse, hatte ich damit kein Problem.

Beim Betreten des Lokals hatten die Organisatorinnen uns vorgeschlagen uns rein zu setzen, aber wir wollten von dem munteren Treiben auf der Hauptstraße (überall waren Menschen und ständig fuhren bunt beleuchtete Kutschen an uns vorbei) nichts verpassen und setzten uns alle raus. Daran erkennt man, dass wir alle aus kälteren Breitengraden kamen, denn natürlich wurde es auch nachts nicht sonderlich kühler, sodass wir ordentlich zu schwitzen hatten. Das war ganz zum Leidwesen eines Geigers, der engagiert wurde mit seinem Instrument und einer im Hintergrund aufgedrehten Soundanlage für Stimmung zu sorgen. Er spielte wirklich gut, auch wenn außerhalb des Tisches mit all den Tunesier*innen, die fleißig mitsangen, kaum jemand einer der Lieder kannte. Leider verlangte ihm die Hitze so einiges ab, sodass er immer mal wieder sein Konzert unterbrechen musste, um sich auf dem Bad ein neues Hemd anzuziehen, weil das alte durchgeschwitzt war. Schließlich erreichte er aber sein Ziel, als auch von unserem “ausländischen” Tisch einige (mich eingeschlossen) aufsprangen und zusammen mit unseren tunesischen Organisatorinnen anfingen zu tanzen.

Die Feier ging bis spät in die Nacht. Zum Abschied gab es noch fabelhaft duftende Jasmin-Sträuße und Kühlschrankmagneten, bevor wir wieder in die Reisebusse stiegen und nach Sousse zurück kehrten. Von der Rückfahrt habe ich aber nicht viel mitbekommen, da ich, wie die Meisten, direkt eingeschlafen bin.

Meiden Sie Menschenansammlungen

Am letzten Tag der Konferenz war nun auch endlich mein Vortrag an der Reihe. Ich hatte den undankbaren Präsentationsslot direkt nach der Mittagspause. So konnte ich zumindest in Ruhe die Folien auf den Beamer tun und die Technik testen, da aber alle im Mittagstief waren, vor allem nach der kurzen letzten Nacht, bekam ich keine einzige Frage gestellt. Na ja, vielleicht auch besser so?

Nachdem die Konferenz feierlich beendet wurde, schloss ich mich eine größeren Gruppe Leute an um noch einmal in die Altstadt zu fahren. Während die Anderen den Ribat besichtigten, setzten Razvan, Sabrina, Joel und ich uns in ein angrenzendes Kaffee und ich schlürfte einen arabischen Tee, während wir den anderen, die mittlerweile oben auf dem Turm standen, zuwinkten. Als nächstes ging es gemeinsam zu einem kleinen Imbiss in einer Seitenstraße (niemand hatte Lust auf die Touri-Restaurants). Der Inhaber war nahezu überwältigt, als er auf einmal so einen großen Bulk an Kundschaft vor seinem Laden vorfand (wir waren 13 Leute) und schob direkt all seine Plastiktische zusammen. Ich bestellte mir Makloub, ein Sandwich aus Pizzateig, was einer Calzone ähnelte. Es wurde sogar für mich veganisiert indem der Käse weg gelassen wurde und ich statt Fleisch Pilze bekam und was soll ich sagen? Mein Makloub war wirklich köstlich!

Heute war auch deutlich mehr los auf den Straßen von Sousse als zuvor. Das lag nicht nur daran, dass Freitag war, sondern auch daran, dass es heute ein großes kostenloses Open Air Konzert in der Stadt geben sollte bei dem ein berühmter tunesischer Sänger auftreten sollte. Das wollten wir uns nicht entgehen lassen. Nachdem wir zahlten (natürlich mit ordentlich Trinkgeld dazu, der nette Inhaber hatte es aber auch echt verdient, dass er heute wahrscheinlich den Umsatz seine Lebens machte!), folgten wir den Menschenmassen bis runter zum Strand. Hier wurden bereits Absperrungen errichtet und alles war voll mit Menschen. Mir ging die Reisewarnung der Auswärtigen Amts nicht aus dem Kopf in der man angewiesen wurde in Tunesien doch bitte Menschenansammlungen zu vermeiden. Doch niemand von uns fühlte sich hier unsicher. Hier waren überall Familien mit Kindern und alle Menschen waren in Feierlaune. Nur das Konzert wollte irgendwie nicht so richtig beginnen. Hier und da gab es mal einen Soundcheck oder eine Vorband, die 1-2 Lieder spielte, aber von dem berühmten Sänger bekamen wir nichts zu sehen.

Nach ca. 2 Stunden gaben wir auf und fuhren zurück ins Hotel, in der noch immer die “Show Time” lief. Jemand hatte ein paar Frauen aus dem Publikum geholt und sie auf der Bühne auf Stühle gesetzt. Nun sollte das Publikum die Frauen nach verschiedenen Kriterien bewerten. Welch merkwürdiges Spektakel… Ich schüttelte den Kopf und ging zurück auf mein Zimmer, wo ich die Vorhänge gut zuzog, mir das Kissen auf die Ohren drückte und kurz darauf einschlief.

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